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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Mann in Sandalen, und nach Sheppard Pratt gefahren, einem riesigen Anwesen aus dem neunzehnten Jahrhundert, tief in einem schönen Park gelegen, im Schatten mächtiger Eichen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, ich hätte glauben können, dass es ein Schloss war, in dem ich wohnen sollte. Aber ich wusste es besser. Doch, es muss Frühling gewesen sein, vielleicht Sommer. Die Eichhörnchen kletterten die Baumstämme rauf und runter. Ein Rhododendron am Eingang stand in voller Blüte. War das auch ein Zeichen, ein Zeichen, das mich an den erinnern sollte, der ich einst gewesen war, das die Wunde öffnen sollte, so wie Jimmy Stout es getan hatte, als wir uns einen Moment lang gegenüberstanden? Es heilt nicht, bevor es nicht geblutet hat. Hatten das nicht alle gesagt, bevor ich abgefahren war? Dass ich mich selbst finden müsse. Ich müsse mich selbst finden, sagten sie. Aber das wollte ich nicht. Das Letzte, was ich finden wollte, war ich selbst. Ich wollte einen anderen finden, einen, mit dem der Umgang einfacher war als mit mir, einen, mit dem ich übereinkam, mit dem ich leben konnte, ohne zu sterben. Ich wollte die Hummel im Rhododendron sein. Stattdessen wurde ich der Karpfen an Land. Ich sollte in den Flügel für Obsession & Disorder kommen. Ich war beides. Mister Bill bestand darauf, mein Gepäck zu tragen, zwei Koffer, einen großen und einen kleinen. Mister Bill sollte auf mich aufpassen. Er war Wächter und Diener zugleich. Gehorsam folgte ich ihm einen kahlen, lautlosen Korridor entlang. Die Wände waren grün, der Fußboden war weich. Wir gelangten in eine Art Stube, einen Aufenthaltsraum. Dort wurde ich von der Leitung empfangen, zwei Männer, etwas jünger als ich, Dr. Due und Dr. Philip, beide in grauem Anzug, sie ähnelten einander bis zur Verwechselung. Ich nenne sie stattdessen Dr. Feel und Dr. Good. Denn alle hier in Sheppard P, an diesem schönen Ort, hatten andere Namen. Niemand hieß, wie er hieß. Das gefiel mir. Hatte ich nicht selbst viele Namen getragen, je nachdem, wo ich war und mit wem ich zusammen war, Chris, Chaplin, Christian, Blackie, Funder, Mamasöhnchen? Und bald sollte ich noch einen Namen bekommen, nämlich Scrabble. So also lief der Empfang auf Sheppard P ab: Zuerst nahmen sie eine Blutprobe, dann wogen sie mich, und zum Schluss musste ich eine Urinprobe abgeben. Mister Bill stand in der Toilette und war dabei, während ich pinkelte. Dann durchsuchte er mich und fand nichts, abgesehen von zwei zitternden Händen und zehn erschrockenen Fingern, aber in Sheppard P war es erlaubt zu zittern, und niemand nahm deine Finger in Beschlag, solange du sie bei dir behieltst, und deshalb waren wir ja hier, nicht wahr, damit unsere Hände zu einem Blumenstrauß an Fingern in Ruhe fielen, schwieriger war es nicht, und dennoch war es unmöglich. Anschließend bekam ich meine Dosis, Lamictal und Zoloft zwei Mal, und Mister Bill ließ mich nicht aus den Augen, bis er gesehen hatte, dass ich alles auch wirklich geschluckt hatte. Übrigens war er nicht der Einzige, der mich beobachtete. Sie waren immer zu zweit. Sie hieß Sister Sorrow. Zumindest nannte ich sie so. Man braucht immer zwei Zeugen, um feststellen zu können, was wirklich ist und was nur ein Schatten. Ich fühlte mich am wohlsten im Schatten. Schatten, das ist das flache Licht, das die Wirklichkeit wirft. Dann zeigte mir Mister Bill mein Zimmer, während mein Gepäck durchsucht wurde. Sie taten das, um auf der sicheren Seite zu sein. Sie taten es um meinetwillen. Ich ließ sie gewähren. Ich hatte nichts über die Grenze ins Land Sheppard P geschmuggelt. Es waren keine Gardinen vor dem Fenster, sondern ein Gitternetz. Die Tür konnte nur von außen verschlossen werden. Mister Bill ließ mich für eine Weile allein, das heißt, er drehte mir den Rücken zu. Ich setzte mich aufs Bett und weinte. Nie war der Mensch in mir kleiner gewesen. Dann war Mister Bill wieder da. Es war Zeit fürs Mittagessen. Ich hätte am liebsten auf meinem Zimmer gegessen. Wie schon erwähnt, kann ich es nicht ausstehen, zusammen mit Fremden zu essen. Außerdem war ich nicht hungrig. Das erklärte ich klar und deutlich, fand jedoch kein Gehör. Die Mahlzeiten waren ein wichtiger Teil des sozialen Trainings. »Mister Bill, ich möchte kein soziales Training haben«, sagte ich, »und wenn ich unbedingt trainieren muss, dann bitte allein.« »Wir sind eine Gruppe«, sagte Mister Bill. »Du bist in einer Gruppe. Und nenne mich nicht Mister, nur Bill.« »Ja,

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