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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Schuhe mit Klettverschluss. Keine Schnürsenkel, über die man auf dem Mond hätte stolpern können! Wir applaudierten. Was ich eigentlich sagen wollte: Auf dem Mond gibt es keine Freizeit. Doch hier, hier unten, hier türmt die Zeit sich auf, und wir sollten lernen, mit ihr umzugehen. Zu denken birgt ein Risiko. Wir sollten uns von den Gedanken und der Zeit befreien, das wollte ich sagen, wir sollten etwas finden, was wir tun können, solange die freie Zeit anhält. Wir sollten frei werden. Wir sollten ganz einfach lernen, uns zu beschäftigen. Deshalb spielten wir Bowling. Deshalb bauten wir Papierhäuser, malten Bilder mit echten Wasserfarben, deshalb wurden wir auf einen Bauernhof in der Nähe befördert, wo wir zunächst ein Pony begrüßen mussten, dann ein ordentliches Pferd in voller Größe, wir stiegen also Stufen hinauf, nachdem wir das Examen in Pony bestanden hatten, konnten wir auf das Hauptfach Pferd losgelassen werden, aber zuallererst bekamen wir einen Helm auf den Kopf, und wir sahen genauso aus wie das, was wir auch waren, die jämmerlichste Truppe von The never ending fake it till you make it-Tour. Dadurch, dass wir in Kontakt mit der Natur traten, das pochende Herz des Pferds fühlten, die dampfende Wärme des weichen Mauls, oder die Wärme des Fells des armen Bob, sollten wir auch uns selbst näherkommen. Ich protestierte auf das Heftigste. Hatte ich es nicht bereits gesagt? Ich war nicht in Sheppard P, um mich selbst zu finden, sondern einen anderen, einen ganz anderen, mit dem ich leben konnte, und zwar einen Tag nach dem anderen, und nicht nur das, sondern mit dem zusammen ich überleben konnte bis zu meinem Tod. Mein amerikanisches Abendgebet: If it works it works. Eines Morgens lag ein neues Formular für uns auf dem Frühstückstisch. Es war von Ms Busy Bee, der Freizeittherapeutin. Wir sollten ankreuzen, was wir am liebsten in unserer Freizeit machen wollten, wenn wir wieder zu Hause waren, damit wir uns bereits hier darauf vorbereiten konnten. Wir wurden alle von Panik ergriffen. Wir wollten nicht an den Tag erinnert werden, der früher oder später kommen musste. Wir wollten nicht an das Leben nach Sheppard P erinnert werden. Wir wollten nicht an diesen gefährlichen Ort erinnert werden, der Zuhause hieß. Wir wollten nicht an Freizeit erinnert werden. Wir hatten mehr als genug mit dem Leben zu tun, das wir gelebt hatten, und den Menschen, die ein Teil dieses Lebens waren, unsere Nächsten, die wir ganz einfach beiseitegeschoben hatten, damit noch Platz für uns blieb, unsere Dämonen und die schlechten Angewohnheiten dieser Dämonen. Wir nahmen keine Rücksicht, abgesehen von der Rücksicht auf uns selbst. Wir waren ungezogene Menschen. Wir taugten nur dazu, anderen vor die Füße zu laufen, wenn es uns überhaupt gelang, zu laufen. Einige von uns waren vier Jahre lang nicht aus dem Bett gekommen, einige von uns hatten so lange unter der Dusche gestanden, dass sich die Haut zum Schluss wie Farbschichten abpellte, einige von uns hatten in der Bar gesessen, bis die letzte Flasche leer war, und dann in Gummizellen übernachtet, in Zwangsjacken und Herbergen in Ländern, die nicht auf der Karte zu finden sind. Nun also dieses Formular. Hier gab es mehr Auswahl als auf allen Speisekarten zusammen. Allein das war schon bedrohlich. Ich möchte nur kurz einiges erwähnen, womit man die Freizeit totschlagen kann, das heißt, die Freiheit von der Zeit erobern und auf diese Art und Weise die Zeit wieder in Besitz nehmen, sie besetzen und unserem Willen unterwerfen: Stricken, Basejumping, Briefmarken, Schach, Porzellanmalen, Bridge, Poker, Bowling, Yoga, Handball, Tischtennis, Badminton, Jagd, Wasserski, Slalom, Reisen, Gartenarbeit, Backen, Tanzen, Blasmusik, Rafting, Orientierungslauf (sowohl nachts als auch tagsüber), Frisbee, Golf und Minigolf. Schließlich fand ich meine Leidenschaft, und ich konnte wählen, ein großer Sieg, fast als ein Triumph anzusehen. Am nächsten Tag wurde ich wieder zu Dr. Good bestellt. Er und Busy Bee wollten mit mir reden, Busy Bee holte das Formular heraus und legte es auf den Tisch. Eisangeln, sagte sie. Ist Eisangeln das Einzige, was Sie sich vorstellen können, wenn Sie wieder nach Hause kommen? »Es stand doch da«, sagte ich, »Eisangeln.« »Und was finden Sie am Eisangeln so attraktiv, Chris?« »Man kann in Ruhe dort stehen. Wenn ein anderer kommt und auch auf dem Eis angeln will, dann bohrt er sein Loch wahrscheinlich möglichst weit weg von dir. Das

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