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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Ich riss den Bogen heraus, drehte einen neuen hinein, hämmerte den Titel drauf und war genauso weit. Heidi kam nicht. Wie hart ich auch hämmerte, sie kam nicht. Zum Glück regnete es. Da musste ich wenigstens nicht das Genörgel meiner Mutter hören, dass ich doch schwimmen gehen sollte, denn alle badeten im Sommer, und ich würde sonst ja geradezu leichenblass im Herbst in die neue Schule kommen, da würden die anderen glauben, dass ich gar nicht in den Ferien gewesen sei, und das war gleichbedeutend damit, dass wir es uns nicht leisten konnten, und das wollte sie natürlich auf keinen Fall erleben. Aber sie musste sich damit abfinden, das zu erleben. Außerdem nahm ich an, dass die meisten im französischen Zweig genauso blass waren, und wenn ich nicht bleich genug war, würde ich eine Abmachung mit Tante Soffen treffen, um den Freischwimmer in Essig zu machen. Die einzigen Male, die ich draußen war, musste ich zum Plumpsklo oder lief schnell morgens hinunter, um die Zeitung zu holen, und zweimal in der Woche holte ich die Kiste mit den Kolonialwaren, die der Kaufmann vor die Pforte gestellt hatte, und dann trug ich die leere Kiste wieder zurück, wenn die volle Kiste so weit war, leer, meine ich. Ab und zu war Mutter oben bei Witwe Nervzwerg Gulliksen, um Vater anzurufen und zu hören, wie es ihm ging. Es ging ihm anscheinend ganz gut. Das Bein war auf dem Weg der Besserung, aber eigentlich war es wohl der Fuß gewesen, den es am härtesten getroffen hatte. Ich saß weiterhin an der Schreibmaschine und schrieb nicht. Ich sehnte mich danach, das rostige Tor quietschen zu hören und zu sehen, wie Heidi zurückkam. Aber die Frachtschiffe waren das Einzige, was zu hören war, so schwer von Zement und Eisen, dass sie fast unter Wasser fuhren.
    Früher oder später hörte es auf zu regnen. Der Juli lauerte im Hinterhalt. Es sollte nicht Aprilscherz heißen, sondern Junischerz. Der Himmel wurde zu einer straffen, hellblauen Tischdecke. War es die Unterseite oder die Oberseite, die ich sah? Ungefähr so dachte ich. Der Tod ist die weiße Decke, die du von der Unterseite deckst. Die Gläser und die Teller hängen direkt über dir, leer, das Besteck sucht nach deinen Händen, die Serviette fällt auf den Boden, der das Dach ist. Ungefähr so denke ich immer noch. Ich inhalierte Prosa und atmete Metaphern aus. Doch was nützte das? Ich bekam Kopfschmerzen und Magenschmerzen. Dann wurde es zu heiß, um drinnen zu sitzen, erst recht in der Dachkammer. Die Buchstaben der Schreibmaschine waren kurz davor, zu schmelzen. Öffnete ich das Fenster, wurde es nur noch heißer. Der Papierkorb war fast voll, und immer noch stand nur der Titel oben auf dem Blatt. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass ich das Gedicht sowieso nicht beenden konnte, bevor die Apollo auf dem heimgesuchten Mond gelandet war, ich konnte nichts im Vorfeld tun, das wäre geschummelt, und dann könnte ich es auch Heidi laut vorlesen. Sie sollte mich als Erste hören, als Allererste. Ich zog um in den Liegestuhl in dem schmalen, kostbaren Schatten hinter dem Fahnenmast, und nahm mir stattdessen Moby Dick vor. Irgendetwas musste ich ja tun. Ich würde Iver Malt erst loswerden, wenn ich das Buch gelesen hatte. Aber ich wurde nicht fertig damit. Ich las die erste Seite und musste sie noch einmal lesen. Ich las den ersten Satz und musste ihn noch einmal lesen. Nennt mich Ismael. Stattdessen begann ich die Wörter zu zählen. Allein auf der ersten Seite gab es 763 Wörter. Wie viele Buchstaben waren das? 2214. Ganz zu schweigen von den Zwischenräumen. Von denen gab es auch mehr als genug, genauer gesagt 634. Ich geriet in Panik. Wie sollte ich Schriftsteller werden, wenn ich nur die Wörter zählte und sie nicht aufschrieb? Iver Malt, mein Quälgeist, hatte mich zu lebenslangem Lesen verurteilt.
    Nach einer Ewigkeit und drei Tagen quietschte die Pforte da unten. Ich hatte das Fernglas parat, nicht, dass ich es brauchte, um zu sehen, wer da kam, aber es war gut, eins zu haben, solange mich niemand sah. Es war Heidi, die nicht kam. Es war Iver Malt, der kam. Er trug die Kiste mit den Lebensmitteln und stellte sie vor die Haustür. Als Mutter aus der Küche hinausspähte, nahm er seine schreckliche Baseballmütze ab, verneigte sich tief und machte eine Bewegung mit dem Arm, als hätte er einen Zylinder in der Hand. In Mutters Gesicht wechselte das Wetter. Dann sagte sie etwas, das ich nicht hören konnte, war für einen Moment verschwunden, kam zurück und gab

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