Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
gesprochen hatte.
    »Du bist ulkig«, sagte sie.
    »Das hast du schon mal gesagt. Was bedeutet ulkig? Außen vor? Ein Loser? Zurückgeblieben? Schlaff? Neandertaler?«
    Sie wartete, bis ich mit dem Dreisprung im Wörterbuch fertig war.
    »Einfach nur anders, Chris.«
    »Wie schon gesagt, nenn mich Funder.«
    »Okay, Funder. Nur ein bisschen anders.«
    »Nur ein bisschen?«
    Jetzt hätte ich noch wahrer sein können als Heidi. Es lag an mir. Ich hatte ihr freiwillig meinen Fuß gezeigt. Ich hätte weitermachen können, indem ich ihr meine Scharten zeigte und dem Wort anders eine neue Bedeutung gäbe. Doch ich traute mich nicht. Ich traute mich nicht, die Chance zu ergreifen, das zu zerstören, was sich gerade erst entwickelte. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, hier, in diesem Sommer, auf dem schmalen Anleger vor dem Badehaus. Ich wollte nicht die Freude zerstören, die Erwartung, diesen Sog aus Hoffnung, aus hoffnungslos großer Hoffnung, als glitte das Leben, ja, das Leben selbst, meine Damen und Herren, an uns vorbei, ein schwer beladener Lastenkahn, und zöge uns mit sich, entweder mit oder hinunter. Ich hätte gewünscht, dass die Märchen nicht beginnen mit Es war einmal. Sie sollten anfangen mit: Es ist einmal. Oder noch besser: Es wird einmal sein. Ich zog mein Hemd aus, und auf dem gelben Handtuch war Platz für uns beide. Und in dem Moment wurde mir mein innerstes Wesen klar, wenn ich denn so etwas hatte, ein Wesen in mir: Ich wollte nicht anders sein. Ich wollte ganz normal sein. Wenn man alles in Betracht zog, so wollte ich normal sein. Ich wollte nicht, dass mein Wesen ein großes Gewese von sich machte. Wir lagen so dicht beieinander, dass ich den Druck ihrer Hüften und ihrer Schulter spürte. Zwischen uns formte der Abstand eine Schale, die sich bei der kleinsten Bewegung füllen würde, oder zerbrechen. Ich legte meine Hand auf Heidis, und sie ließ es zu. Ich war zumindest ein Stück auf dem Weg, aber es war noch ziemlich weit zu gehen. Da hörte ich, wie sich zwischen den Möwen ein Motorboot näherte. Wir setzten uns gleichzeitig auf. Das waren natürlich Putte und seine Bande. Sie waren leider doch nicht draußen bei Steilene auf Grund gelaufen. Eins zu Null für die verfluchte Wirklichkeit. Sie standen alle Mann im Boot und warfen leere Flaschen ins Meer oder nach den Möwen, was so ziemlich aufs Gleiche rauskam. Jetzt musste ich Farbe bekennen.
    »Macht das nicht!«, rief ich.
    »Hey, Blackie!«
    Blackie? Hatte ich noch einen Namen bekommen, nachdem ich mich langsam an all die anderen gewöhnt hatte?
    »Blackie? Wer ist das? Ist jemand hier, den ich nicht sehe?«
    »Anscheinend. Du bist so bleich, dass du fast schon durchsichtig bist. Aber mal abgesehen davon, angelst du heute mit oder ohne Blechdose?«
    »Wie witzig.«
    »Und, fängst du was, Blackie? Oder wird nur dran geknabbert?«
    Lachen über Lachen. Dieses selbstzufriedene Lachen. Wie ich dieses grölende Lachen hasste und verachtete, das man dann hörte, wenn etwas überhaupt nicht lustig war. Aber Heidi lachte nicht. Also machte es nichts. Sollten sie doch so lange lachen, wie sie wollten, solange Heidi nicht lachte. Ich war fast in Fahrt gekommen.
    »Macht das nicht«, wiederholte ich.
    »Was denn?«
    »Die leeren Flaschen ins Wasser schmeißen. Die Fische können sich dran schneiden.«
    »Sich schneiden? Aber das wäre doch super! Dann kriegst du schon eine ausgenommene Makrele direkt in deine Dose!«
    Sie legten mit einem Ruck an, dass der ganze Anleger erzitterte. Hier gab es keine Fender, hier war nichts, um sie zu empfangen und abzuhalten. Übrigens mag ich jetzt nicht noch mehr Platz und Zeit an diese talentlose Bande verschwenden, es sei nur noch erwähnt, dass Putte wollte, dass Heidi mit zu den anderen Badeschuppen kam, sie hatten da etwas laufen, irgend so ein Ebbefest, aber sie wollte nicht, und es endete damit, dass Putte aufgab.
    »Vielleicht ist Lisbeth ja frei«, sagte ich.
    Warum sagte ich das? Putte sah mich an, Heidi sah mich an, alle sahen mich an.
    »Lisbeth frei? Wie meinst du das?«
    »Vielleicht will sie mit euch mitkommen, meine ich.«
    »Frei? Machst du dich über Lisbeth lustig? Du machst dich doch wohl nicht über Lisbeth lustig?«
    »Das war nicht so gemeint. Warum sollte ich mich über Lisbeth lustig machen?«
    »Woher soll ich das denn wissen? Ich bin doch kein Gedankenleser. Reiß dich zusammen, Blackie. Du kriegst noch einen Sonnenbrand.«
    »Ich mache mich nicht über Lisbeth lustig. Sie sitzt oben im

Weitere Kostenlose Bücher