Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Rest der Truppe.
    »Hast du gewusst, dass der Karpfen der Fisch ist, der am längsten an Land leben kann?«
    »Nein.«
    »Jetzt weißt du es. Der Karpfen hat nämlich verdammt große Kiemen, und die funktionieren fast wie ein Sauerstoffapparat.«
    »Aber was soll ein Karpfen denn an Land?«
    »Genau das sage ich ja auch. Was soll ein Karpfen an Land, wenn er im Wasser sein kann. Das muss sich um ein Missverständnis handeln. Karpfen landen nicht aus freien Stücken auf dem Land.«
    »Dann sind es dumme Karpfen.«
    »Ja, nicht wahr? Dumme Karpfen. Aber hast du gewusst, dass die Post jedes Jahr vierzigtausend Briefe verbrennen muss? Weil sie nicht zugestellt werden konnten?«
    »Warum das denn?«
    »Weil sie nicht zugestellt werden konnten.«
    »Aber warum konnten sie nicht zugestellt werden?«
    »Weil die Adresse ungenau war. Denk dir nur, was in diesen Briefen alles stehen kann. Vielleicht wartet jemand noch immer auf einen Brief, der vor dreißig Jahren abgeschickt wurde. Oder er wartet auf die Antwort auf den gleichen Brief, den er vor dreißig Jahren abgeschickt hat, der aber nie angekommen ist, weil die Adresse zu ungenau war, weil der, der den Brief schrieb, so nervös war, dass ihm die Hände zitterten, und er den Stift nicht ruhig halten konnte. Nicht wahr?«
    »Was glaubst du, was wohl in dem Brief stand, der nicht angekommen ist?«
    »Ich liebe dich. Etwas in der Art. Oder liebst du mich? Ist auch gleich, ist ja so und so nicht angekommen. Hast du übrigens gewusst, dass man Sommersprossen kriegt, wenn man Johanniskraut isst, und das Einzige, was du sagen kannst, ist Hypericum perforatum!«
    Dann saßen wir genauso lange wieder schweigend da, wie ich mich verplappert hatte. Ich war ein Idiot im Präsens. Ich grub mir mein eigenes Grab mit einem Teelöffel. Warum überließ ich das Reden nicht anderen, um mich somit der Stille zu widmen?
    »Bist du fertig mit dem Gedicht über den Mond?«, fragte Heidi.
    »Nicht ganz. Aber ich habe ein anderes Gedicht geschrieben, das kann ich dir vorlesen. Wenn du willst, meine ich. Dann kann ich es dir ganz laut vorlesen.«
    »Oh ja, bitte.«
    »Aber ich habe es leider nicht bei mir. Übrigens ist es von Vinduet angenommen worden, der Zeitschrift vom Gyldendal Norsk Forlag. Ich kann es inzwischen auswendig.«
    »Lass hören.«
    »Hinterher.«
    »Hinterher? Nach was?«
    Ich beugte mich das letzte Stück weiter vor und schaffte es schließlich, auf ihre Bank hinüberzukommen, während die Hand sich dem Hosenbund näherte, also dem Reißverschluss, und den konnte man hinunterziehen, ich hörte bereits das Geräusch, ein schnelles Surren. Das war zweifellos ein Durchbruch. Ich hatte einen kühlen Kopf, ansonsten war mir heiß. Ich hatte das Ruder in der Hand. Ich grub mir einen Platz in ihrer Halsgrube und bereitete einen lang anhaltenden Kuss vor. Und wenn das überstanden war, rechnete ich damit, dass der Rest sozusagen ganz von allein kommen würde. Hinterher würde ich ihr das Gedicht vorlesen, auswendig und laut. Ich würde es den Möwen und Krebsen vorlesen, den Seesternen und Astronauten, aber in allererster Linie würde ich es für sie lesen. Hinterher würde alles anders sein. Da zerrte jemand an der Tür. Wir ließen einander blitzschnell los und saßen sofort wieder jeder auf seiner Bank. Jemand, das war Lisbeth. Sie warf einen schnellen Blick auf die Luftmatratze, bevor sie mir direkt ins Gesicht schleuderte:
    »Hast du Heidi auch aufgepumpt?«
    »Beruhige dich«, sagte Heidi.
    Sie rutschte weiter in die Ecke, dort war mehr Schatten, während Lisbeth mich weiterhin anstarrte, während ich sie hasste.
    »Worum geht es?«, fragte ich.
    »Worum es geht? Du musst kommen.«
    »Sind sie schon gelandet?«
    »Dein Barackenbengel ist gelandet, Wittling. Hast du ihn eingeladen?«
    »Nein, natürlich habe ich das nicht.«
    »Er hat sich fein gemacht. Und er will verdammt noch mal nicht wieder gehen. Verdammt sturer Idiot.«
    Ich drehte mich schnell zu Heidi um, die nur nickte, als gäbe sie mir die Erlaubnis, zu gehen und Iver Malt zu befreien, aber ich wünschte, sie hätte das Gegenteil gesagt, oder mir zumindest ein Zeichen gegeben, dass ich bleiben und drauf pfeifen sollte, auf alles, was an diesem Abend außerhalb des Badehauses geschah pfeifen, auf Iver Malt und Lisbeth und alle Zahnspangen der Welt pfeifen, drauf pfeifen und nur bei ihr bleiben, bei Heidi, mit der Hand bereits auf dem Schenkel und allem, was dieser Gruß beinhaltete, aber ich ging mit Lisbeth

Weitere Kostenlose Bücher