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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zurück.
    »Das spielt ja wohl keine Rolle«, sagte ich.
    »Was spielt keine Rolle?«
    »Ob Iver nun hier ist oder nicht.«
    »Wenn du lieber mit ihm spielen willst, dann brauchst du dich hier nur zu verabschieden und niemals wiederkommen.«
    Wovor hatte sie Angst? Spielte es eine Rolle, ob Iver nun hier war oder nicht? Ich glaube, sie hatte Angst, noch weiter in den Dreck gezogen zu werden, indem sie mit ihm gemeinsame Sache machte, mit dem Barackenbengel. Ich protestierte nicht weiter, und meine Proteste waren sowieso nur halbherzig. Denn ich wollte ihn auch möglichst nicht hier dabeihaben. Der Gedanke ließ sich nicht leugnen. Ich wollte Iver Malt loswerden. Er störte mich. Er war im Weg. Bald konnten wir die unklaren Geräusche aus dem Fernseher drinnen im Wohnzimmer hören, als würde sich alles unter Wasser abspielen. Wieder einmal saß ich zwischen allen Stühlen. Ich saß so dazwischen wie nie zuvor. Zugleich wusste ich, wofür ich mich entscheiden musste. Dieses Mal wusste ich es. Es war ganz einfach. Ich wollte das Gleiche wie Lisbeth. An diesem Abend wollte ich also Iver Malt loswerden. Ich wollte es hinter mich bringen und zurück zum Badeschuppen gehen, in dem Heidi für den Rest des Lebens auf mich wartete.
    Iver Malt stand vor der Pforte. Ich ging zu ihm hoch. Er wirkte magerer, härter, gleichzeitig ängstlich. Seine Stirn war auch weißer. Er konnte nicht stillstehen, verlagerte die ganze Zeit das Gewicht von einem Bein aufs andere. Er trug einen Anzug, zumindest eine dunkle Jacke und eine dunkle Hose mit Bügelfalte, sogar einen dünnen Schlips, der wie ein Kreuz vor dem weißen Hemd hing.
    »Ich dachte, wir hätten eine Verabredung«, sagte Iver Malt.
    Er hatte ein blaues Auge. Das war nicht neu. Ein angeschwollener, fast schwarzer Schatten lag über Wangenknochen und Nasenwurzel, und wahrscheinlich leuchtete seine Stirn deshalb weißer, klarer.
    »Hast du dir wehgetan?«, fragte ich.
    »Ich dachte, wir hätten eine Verabredung«, wiederholte Iver. »Dass wir zusammen Radio hören wollten.«
    »Ist was dazwischengekommen. Ich …«
    »Hältst du deine Abmachungen nicht ein?«
    »Doch. Natürlich. Aber ich habe da etwas am Laufen. Oh Scheiße.«
    »Mutter hat Brot gebacken. Und einen Kuchen. Du hast gesagt, du kommst. Vater hat auch gehört, dass du das gesagt hast. Dass du kommen wolltest.«
    »Ich weiß.«
    »Warum bist du dann nicht gekommen?«
    »Oh Scheiße, Iver. Meine Pläne haben sich einfach geändert. Sorry.«
    »Die haben Fernsehen hier, nicht wahr?«
    »Ja. Putte und die anderen sehen es sich an.«
    »Du nicht?«
    Ich beugte mich über den Zaun und versuchte vertraulich zu wirken.
    »Ich habe da etwas anderes am Laufen«, flüsterte ich.
    Iver Malt zog sich ein wenig zurück.
    »Lässt du mich nicht rein?«
    »Ich wohne nicht hier.«
    »Lässt du mich nicht rein?«
    »Ich bin nicht derjenige, der hier bestimmt.«
    Jemand rief unten vom Haus. Ich drehte mich nicht um. Es war Putte. Er stand schwankend da, mit nacktem Oberkörper, eine Schnapsflasche in der Hand.
    »Nun mach endlich Schluss mit dem Nazi, Wittling. Sonst kommen wir und pissen ihn an.«
    »Halt die Schnauze«, murmelte ich.
    Iver Malt kam näher, einen Moment lang glaubte ich, er wollte über die Pforte klettern, und eigentlich wünschte ich, dass er das tun würde, denn dann hätte ich nichts mehr damit zu schaffen.
    Er blieb stehen.
    »Wittling? Ist das dein neuer Name?«
    »Scheint so. Und?«
    »Und was?«
    »Du lässt dir auch fast alles gefallen.«
    In dem Moment hasste ich Iver Malt. Ich hasste ihn. Dieses Gefühl war klar und unbestreitbar. Aber es war nicht nur ein Gefühl, es war auch ein Gedanke, ein Hintergedanke. Das ist der Weg, den es geht, nicht wahr, vom Gefühl zum Gedanken, nicht umgekehrt. Ich hasste ihn mit allem, was mir zur Verfügung stand. Das wollte ich ihm ganz einfach laut und deutlich erklären, damit dieser wortblinde Barackenbengel diese Nachricht auch begreifen konnte.
    Doch Putte hatte noch mehr auf dem Herzen.
    »Er stört die Übertragung, verdammt! Ich kann nichts sehen!«
    Putte ging zurück ins Haus. Iver Malt blieb stehen. Es wunderte mich eigentlich, dass er nicht einfach über den Zaun sprang, wenn er solche Lust hatte, an dem Fest teilzunehmen. Vielleicht besaß er auch eine Art von Stolz. Er sollte zumindest hereingebeten werden, wenn er sich schon aufdrängte. Zum Teufel mit allem Stolz!
    »Hätte eher gedacht, dass Putte mich rauswirft«, sagte er, »nicht du.«
    »Ich werfe dich

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