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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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die beiden sich noch ein bisschen darauf freuen, dass Jimmy nach Hause kommt.«
    »Sie haben bereits den Salon geschlossen, Sir. Ich dachte nur, wir sollten es ihnen sagen, bevor sie losgehen, um ihn zu empfangen.«
    »Ja, ja. Scheißjob.«
    Der Sheriff öffnete die Tür an seiner Seite und drehte sich abrupt um, als Frank das Gleiche tat.
    »Was hast du vor?«
    »Soll ich nicht mitkommen?«
    »Ich dachte, du bleibst hier sitzen und denkst über den Unterschied zwischen guten und schlechten Nachrichten nach.«
    »Ich denke, es wäre nützlich für mich, dabei zu sein.«
    »Ja gut. Wenn du meinst. Aber du bleibst im Hintergrund und hältst den Mund. Du hörst zu und lernst. Verstanden?«
    »Vollkommen.«
    »Und sieh mir in die Augen, wenn du mit mir redest, Farrelli. Du musst den Leuten in die Augen schauen. Sonst vertrauen sie dir nicht.«
    Sie gingen um die Ecke zum Friseursalon. An der Tür stand closed, doch das Ehepaar war noch drinnen. Sie hatten sich umgezogen, normale Kleidung angezogen. Mrs Stout holte einen großen Blumenstrauß hervor, der hinter dem Kassentresen gelegen hatte. Frank dachte, dass es jetzt für die beiden für immer geschlossen war, während der Rest der Welt geöffnet hatte, jedenfalls bis auf weiteres. Und dann kam ihm der Gedanke, dass der Sheriff und er etwas über diese beiden anständigen Menschen wussten, was sie selbst nicht wussten. Er, ein Fremder, kannte ihr Schicksal, während es ihnen selbst noch verborgen war. Genau in diesem Moment konnte er sie vernichten. Wie er sie jetzt sah, durch das beschlagene Fenster hindurch, schienen ihre Gesichter undeutlich zu sein, als wären die Gesichtszüge ausradiert. Mr Stout ließ sie herein, überrascht, sie zu sehen, aber immer noch unwissend, noch arglos. Noch lebten sie ihr ganz normales Leben. Noch warteten sie auf Jimmy. Der Sheriff nahm seine Mütze ab und drehte sie langsam in den Händen. Die Blumen fielen zu Boden, und in dem Augenblick brach ihr Leben zusammen. Was Frank wunderte: Es geschah, bevor der Sheriff gesagt hatte, was er zu sagen hatte.
    »Ihr Sohn, Jimmy, ist leider bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«
    Mrs Stout drehte sich zu ihrem Mann um, und ihre Gesichter waren ganz plötzlich wieder deutlich zu erkennen, als wäre das Licht zurückgekommen und hätte ihre Züge auf einer schwarzen Tafel nachgezogen. Was bisher im Dunkel verborgen gewesen war, außerhalb ihres Verstands, wurde sichtbar. Sie schlug sich die Hände vor die Brust und jammerte.
    »Das ist nicht wahr! Sagen Sie, dass das nicht wahr ist!«
    Mr Stout schaute nur den Sheriff an, kümmerte sich nicht um seine Frau.
    »Ist das wahr? Ist unser Jimmy tot?«
    »Die Straßen sind nach dem vielen Regen glatt. Es tut mir aufrichtig leid, Sir.«
    »Wo ist er?«
    »Er wurde vor einer halben Stunde ins St. Mary’s Hospital gebracht.«
    Mrs Stout kam zur Ruhe oder gab auf. Sie widmete sich dem Praktischen. Sie zog sich den Mantel an, schaute schnell in den Spiegel und richtete ihr Haar.
    »Ich will ihn sehen.«
    »Ich werde Sie hinbringen«, sagte der Sheriff.
    Sie drehte sich wieder zu ihrem Mann um.
    »Kommst du?«
    Mr Stout antwortete nicht. Stattdessen zeigte er auf Frank.
    »Sie haben sich geschnitten«, sagte er.
    Frank tastete nach dem kleinen Pflaster und fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
    »Ist nicht schlimm.«
    »Sie sollten das Rasieren den Fachleuten überlassen. Setzen Sie sich.«
    Frank schaute den Sheriff an, der nickte leicht. Also setzte er sich auf den Stuhl.
    »Kommst du nicht?«, fragte Mrs Stout wieder.
    »Jimmy ist tot. Ich will ihn so nicht sehen.«
    Mrs Stout zögerte an der Tür, gab ihrem Mann noch eine Chance, es sich anders zu überlegen, was er jedoch nicht tat. Der Sheriff ging mit ihr hinaus. Frank war allein mit Mr Stout, der wieder seinen weißen Kittel anzog und sich hinter den Stuhl stellte, dieses Mal mit einem Rasiermesser, das er an einem Lederriemen schärfte. Dann riss er das Pflaster ab und legte Frank ein warmes Handtuch aufs Gesicht. Frank schloss die Augen und wusste nicht, wie viele Minuten so vergingen. Es hätten auch Stunden sein können. Er war kurz davor einzuschlafen. Was nicht unangenehm war. Das Geräusch von Metall auf Leder erinnerte ihn an Heuschrecken, die früher den Himmel im Mai oft verdunkelt hatten. Dann nahm Mr Stout das Handtuch fort und seifte ihn ein. Frank hoffte auf das Beste. Das war das Letzte, was alle in Karmack hofften, sie hofften auf das Beste. Die scharfe Klinge kratzte auf

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