Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
werden, er wusste nur nicht, an wem er sich hätte rächen sollen. Der Pfarrer winkte ihn zu sich, und er stellte sich ans Fenster und schaute hinunter auf die Straße. Da stand der Sheriff und schob einen Zettel unter den einzigen Scheibenwischer des Chevrolets. Das auch noch. Er hatte falsch geparkt. Jetzt bekam er einen Strafzettel. Was für eine Schmach. Die Zeit begann doch nicht von Neuem. Sie machte nur in der gleichen alten Spur weiter, und dort stand sie still. So sah es jedenfalls Frank Farrelli.
»Ich glaube, Sie haben gestern vergessen, mir mein Taschentuch zurückzugeben«, sagte der Pfarrer.
»Oh, das tut mir sehr leid. Ich werde morgen dran denken.«
Frank ging hinunter zum Sheriff, der sich über die Karosserie beugte.
»Ist das dein Wagen?«
»Ja. Tut mir leid.«
»Willst du den auch im Dienst benutzen?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Wenn du darüber nachdenkst, dann musst du ihn zumindest umlackieren. Mit der Farbe kannst du nicht rumfahren. Rot! Du bist ja nicht als irgend so ein Handelsvertreter eingestellt worden.«
»Natürlich. Ich meine, natürlich nicht.«
Im Grunde genommen war Frank erleichtert. Er hatte nicht falsch geparkt. Er war eingestellt worden. Er musste nur den Chevrolet umlackieren. Steve würde das problemlos erledigen.
»Du brauchst einen Haarschnitt«, sagte der Sheriff. »Komm. Wir müssen miteinander reden.«
Sie fuhren im Dienstwagen des Sheriffs in den Osten des Ortes, zum Snake River hin. Hier waren die Straßen schmaler. Dafür waren die Fassaden höher, aber man konnte trotzdem immer noch den Himmel sehen, der an diesem Tag schwer, grau und gefleckt aussah wie eine Fußmatte.
»Weißt du, was das Schlimmste an dem Job ist?«, fragte der Sheriff.
»All die Trauer.«
»An die gewöhnst du dich, Farrelli. Aber man gewöhnt sich nie daran, dass man nie weiß, was passieren wird, wenn man mit der Nachricht kommt. Einige schütteln einfach nur den Kopf. Andere werden angezählt. Einige werden wütend auf dich und andere lachen einfach nur. Verdammt, du musst wissen, das ist nicht einfach. Jeder Mensch hat seine eigene Art von Trauer. Keine Trauer ist wie die andere. Aber das Schlimmste ist, wenn du derjenige bist, der die Schuld bekommt an dem, was passiert ist. Das ist das Schlimmste.«
»Das ist ungerecht.«
Der Sheriff lachte.
»Ungerecht? Es gibt in dem Job hier keine Gerechtigkeit, Frank. Und auch keinen Verstand. Nur Chaos. Du musst auf alles vorbereitet sein. Denn man kann nie wissen. Und noch eins, Frank. Falls wir das nicht gestern schon gesagt haben. Du unterliegst der Schweigepflicht. Auch wenn wir kein Wort sagen, so herrscht darüber Schweigepflicht. Verstanden?«
»Ja. Verstanden.«
Der Sheriff parkte vor Stout’s Barbershop in der Mills Street und legte Frank eine Hand auf die Schulter.
»Und dann müssen unsere Haare ordentlich aussehen, Farrelli. Grüß von mir. Ich warte hier.«
Frank stieg aus dem Wagen und ging in Stout’s Barbershop. Der Friseur höchstpersönlich stand an dem mit Elefantenhaut bezogenen Stuhl, und kämmte einen Greis, der darin eingeschlafen war. Dessen Kopf hing vornüber, und ein Licht, von dem Frank nicht sehen konnte, woher es kam, ließ das dünne weiße Haar auf dem knorrigen Schädel leuchten, fast wie Baumwolle. Mrs Stout saß auf einem hohen Stuhl hinter der Kasse. Beide Stouts waren in den Vierzigern und schienen nette, solide Menschen zu sein. Sie lächelte Frank zu und deutete mit einem Nicken auf einen Hocker, auf dem er sitzen und warten konnte, bis er an der Reihe war. Frank setzte sich. Er war noch nie zuvor hier gewesen. Normalerweise war es seine Mutter, die sich um seinen Haarschnitt kümmerte. Aber damit war jetzt Schluss. Es gab viel, womit jetzt Schluss war, und noch mehr, was jetzt anfangen sollte. Frank schaute sich um und überlegte, wie sie es nur schafften, den Salon am Laufen zu halten, während doch die meisten anderen Läden hatten schließen oder aufgeben müssen. Sicher, sie hatten sich einschränken müssen, denn auf einem alten Plakat, das hinter Glas und Rahmen an der Wand hing, konnte man lesen: No waiting. Three barbers always in attendance. Jetzt war nur noch ein einziger Friseur übrig, Mr Stout selbst, und ein einziger Stuhl, aber dennoch. Sie gaben nicht auf. Vielleicht war es ja so, dass die Leute, ganz gleich, wie schlecht die Zeiten waren, trotzdem gut aussehen wollten. Lieber eine neue Frisur als ein Dessert. Aber bald gab es sicher kaum noch etwas,
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