Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
unzähligen Bilder meines Lebens, die sich hätten aneinanderreihen sollen? War es dazu noch zu früh gewesen? Oder war ich dem Tod jederzeit ferner als dem Leben?
Der Beton wärmte ihn angenehm und lockerte allmählich die Muskeln. Als Nick die Augen öffnete, sah er, dass die Sonne die Wassertröpfchen auf seiner Haut zum Glitzern brachte. Es sah schön aus. Wunderschön. Wie der Himmel, die Wolken, die Bäume, das Gras, die Wasserbecken, der Kiosk, der Sprungturm, die Wasserrutsche, die Männer, Frauen und Kinder.
Alle Details und Farben um sich herum nahm er überdeutlich wahr. Ebenso die Geräusche. Als wäre sein Bewusstsein erweitert. Er hatte noch nie Gras geraucht oder andere Drogen genommen, stellte sich aber vor, dass es wohl ähnlich sein könnte.
So schnell, dachte er, kann das Leben vorbei sein. So wahnsinnig schnell. Und so im Verborgenen. Keiner kriegt was mit …
Das Zittern ebbte ab. Plötzlich stand ein übergewichtiger Bademeister neben Nick und schaute zu ihm runter. „Hey“, fragte er. „Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?“
Nick rappelte sich auf. Er kämpfte einen hysterischen Lachanfall nieder, weil erst jetzt, wo es vorbei war und er sich in Sicherheit befand, ein Bademeister auftauchte.
Warum so spät? Weil er groß und kräftig war und Jungen in seinem Alter so etwas nicht passierte?
„Ja“, murmelte er. „Klar. Alles okay. Ehrlich! War nur ein Wadenkrampf.“ Er streckte einen Arm aus, deutete in Richtung Wiese. „Da hinten sind meine Freunde. Ich geh dann mal.“
Er wartete keine Reaktion ab, ging wie auf rohen Eiern und wankte zu seinem Badelaken. Der Platz lag verlassen da. Vermutlich waren die anderen zum Kiosk gegangen. Er ließ sich auf sein Badelaken fallen und schloss die Augen. Vor Erschöpfung nickte er kurz ein. Er erwachte von Miros lauter Stimme und Everests wieherndem Gelächter.
Als die Clique bei ihm anlangte, hatte er sich einigermaßen im Griff. Er verspürte kein Verlangen, den fatalen Vorfall im Becken zu erwähnen, weil er sich nicht unnötig in Verlegenheit bringen wollte. Insbesondere nicht vor Miro.
Er nahm das Eis, das Max ihm netterweise auf Verdacht mitgebracht hatte. Es schmeckte besser als alles, was er je gegessen hatte. Er lachte zu viel, er redete zu laut und war fast schon übermütig. Und als sie zum Volleyballfeld hinübergingen und Jungen gegen Mädchen spielten, gelangen ihm einige gute Würfe, sodass sein Team gewann. Ins Wasser gehen wollte er an diesem Tag aber nicht mehr.
Zwei Stunden später.
Während sich seine Freunde auf der Wasserrutsche vergnügten, saß Nick, innerlich noch immer aufgedreht, am Beckenrand, die Füße im Wasser, und schaute zu. Damit er nicht wieder an den Wadenkrampf und die Folgen denken musste, spielte er auf seiner Gedankengitarre „Walk“. Er wurde jedoch abgelenkt: Als ein Mädchen lauthals lachend auf der langen Rutsche ins Wasser raste, hielt er mitten im Solo inne.
Ihr langes Haar war bernsteinfarben. Von Weitem könnte man sie glatt mit Lina verwechseln. Prustend kam sie an die Oberfläche, schwamm zum Rand, kletterte aus dem Wasser und lief mit einigen Mädchen wieder zur Leiter.
Ohne ihn zu beachten, flitzten sie an Nick vorbei. Niemand achtete auf ihn. Das glaubte er zumindest. Und nein, es war ihm nicht recht. Denn mit einem Mal wünschte er sich dringend ein wenig Gesellschaft – und die sollte er bekommen.
Er stöhnte leise. Ausgerechnet Melania und Bianca fiel auf, dass mit ihm was nicht stimmte. Sie sprachen ihn an, fragten, ob alles klar sei, und er bejahte das.
Die Mädchen in ihren knappen, knallgelben Bikinis ließen sich unaufgefordert neben ihm nieder. Die eine links von ihm, die andere rechts. Melania und Bianca. Die Schwarze und die Weiße.
So normal.
So total normal.
Rätselhafterweise saß er gern zwischen ihnen, ja, er genoss ihre Aufmerksamkeit sogar. Die beiden planschten mit den Füßen im Wasser, sagten, wie gut er Volleyball spielen könnte und wie braun er geworden sei. Sie lächelten und kicherten, streiften seine Oberschenkel mit ihren Oberschenkeln und rochen angenehm nach Sonnencreme und Mädchen. Allerdings dufteten sie nicht so gut nach Pfirsich, wie Lina es tat. Besorgt nahm er zur Kenntnis, dass seine Ohren glühten.
Abwechselnd fragten sie ihn aus. Was die Schule machte, ob er noch in seiner Band spielte, wie lange er noch bliebe und wie es dem seltsamen Mädchen mit den traurigen Augen ginge, das häufig am Fenster im Mühlenhaus stand.
Er
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