Der Sommerfaenger
sehr schnell gehen. Und was sollte das bedeuten – eigentlich nicht?
»Okay«, sagte Merle. »Dann will ich dich mal wieder arbeiten lassen.«
Sie hatte noch nicht mal tschüs gesagt, da hatte Jette das Gespräch schon beendet.
*
Jedes Wort hatte an meinen Nerven gezerrt. Mein Handy war die einzige Verbindung zu Luke, wenn auch nur einseitig, und die wollte ich auf keinen Fall blockieren.
Die Entscheidung, Merle nicht einzuweihen, hatte ich spontan getroffen.
Das hier betraf nur Luke und mich.
Als ich endlich im Büro saß und die Schreibtischschublade aufzog, um die Liste der Mitarbeiter herauszuholen, war ich völlig außer Atem, doch das lag nicht daran, dass ich mich beeilt hatte.
Meine mühsam aufrechterhaltene Gelassenheit war in sich zusammengefallen.
Ich zwang mich, ein paar Mal tief durchzuatmen, dann nahm ich den Hörer und rief als Erstes Beckie an, die Kollegin, mit der ich mich von allen am besten verstand. Und die ein Auto besaß.
Beckie wartete auf einen Studienplatz in Medizin und war über ein Praktikum ins St . Marien geraten – und geblieben. Sie arbeitete mittlerweile etwa so lange hier wie ich und hatte beschlossen, nach dem Studium als Ärztin ein Haus wie dieses zu betreuen.
Sie ging in dieser Tätigkeit auf, war freundlich, mitfühlend und zuverlässig und mir außerdem noch einen Gefallen schuldig.
»Das wird die Stein ja wieder mal auf hundertachtzig bringen«, sagte sie, und ich konnte ihr Grinsen spüren.
»Es ist ein Notfall.«
»Ist nicht das ganze Leben ein Notfall?«, orakelte sie und seufzte theatralisch.
Beckie war ständig unglücklich verliebt. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Das Einzige, was ihr half, die Achterbahnfahrt der Gefühle zu überstehen, waren ihr strahlender Optimismus und ihre ansteckende Fröhlichkeit.
»Wann kannst du hier sein?«, fragte ich sie.
»Wie eilig ist es?«
»Sehr.«
»Bin in einer halben Stunde da.«
»Und … Beckie?«
»Ja?«
»Leihst du mir deinen Wagen? Meinen hat Mike. Ich kann dir das jetzt nicht erklären.«
»Wenn du ihn mir heil zurückbringst.«
»Beckie?«
»Ja?«
»Danke.«
Auf die gute Beckie war Verlass. Ich überlegte kurz, ob ich Yasar informieren sollte, und beschloss dann, das lieber ihr zu überlassen.
Yasar hatte in letzter Zeit einige unangenehme Auseinandersetzungen mit Frau Stein erlebt und versuchte gerade, alles zu vermeiden, was ihr Missfallen erregen konnte. Er hätte mit allen Mitteln versucht, mir den Tausch mit Beckie auszureden, und dafür hatte ich jetzt keine Nerven.
Ich nahm mir meinen Arbeitsplan vor, strich durch, was ich bereits erledigt hatte, und fügte ein paar Ergänzungen an.
Sieh nach Frau Sternberg, schrieb ich besonders groß und auffällig und unterstrich es dreimal. Sie steht kurz vor dem Absturz.
Ich tippte einen kurzen Bericht. Dann war ich für heute fertig.
Der Himmel hatte sich bezogen.
Etwas braute sich da draußen zusammen.
Auf dem Monitor des Computers konnte ich winzige Gewittertierchen erkennen, die irgendwie in das Innere geraten und nun darin gefangen waren. Zwei hatten sich schon fast aufgelöst, drei waren noch gut auszumachen. Ein sechstes bewegte sich langsam von rechts nach links.
Ich hätte es gern gerettet, aber ich wusste nicht, wie.
Beim Blick auf die Zeitanzeige war es, als quetschte eine riesige Hand mein Herz zusammen. Viertel vor vier. Wenn alles klappte und die A1 nicht wieder komplett verstopft war, würde ich vor der verabredeten Zeit da sein.
Eine halbe Stunde später, ich hatte in Windeseile die Tische im Speisesaal eingedeckt und mich wieder ins Büro gesetzt, hörte ich Beckies fröhliche Stimme auf dem Flur. Sie hatte Wort gehalten und sich beeilt. Als ich aufstand, schwankte das Zimmer. Ich hielt mich an der Schreibtischkante fest, bis es wieder vorbei war.
Einzig der von den Zeugen Jehovas in peinlicher Regelmäßigkeit angekündigte Weltuntergang konnte mich noch davon abhalten, zu unserem Blockhaus zu fahren, um Luke zu treffen.
*
Als Bert nach Hause kam, empfing ihn die Stille wie ein großer Vorwurf.
Er hätte sich gewünscht, seine Kinder in den Arm nehmen zu können und sich mit ihnen auf den Wohnzimmerteppich zu legen, um die Carrerabahn aufzubauen. Ihm war klar, dass er kein Recht auf solche Wünsche hatte.
Margot nannte ihn im Streit stereotyp den abwesenden Vater .
Sie war es gewesen, die mit den Kindern Karamellbonbons hergestellt und Martinslaternen gebastelt hatte. Sie hatte ihre Lieblingsgerichte gekocht
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