Der Sommermörder
hatte sich wegen der Drohbriefe Sorgen gemacht und sich gefragt, wann das Ganze ein Ende haben würde, und jetzt gab es drei Kinder, die keine Mutter mehr besaßen.
Der Wagen kam zum Stehen. Ich atmete tief durch.
»Wir sind zu Hause«, sagte eine Stimme. »Kann ich irgendwas für Sie tun?«
»Ich glaube, ich werde mich eine Weile hinlegen.«
»Ist es Ihnen lieber, wenn ich draußen im Wagen bleibe?«
Mit einem Schlag war mein Kopf wieder klar. Von jetzt an würde ich nur so tun, als wäre ich krank.
»Nein, nein, auf keinen Fall. Ich möchte, dass Sie mit hineinkommen.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich werde allerdings keine sehr gute Gesellschaft sein.
Ich glaube, ich habe Migräne.«
»Müssen Sie was einnehmen?«
»Es reicht, wenn ich mich ein bisschen in einen verdunkelten Raum lege.«
Wir gingen ins Haus, und ich zog mich in mein Schlafzimmer zurück. Nachdem ich die Tür hinter mir zugemacht hatte, überprüfte ich, ob das Fenster fest geschlossen war, und ließ die Jalousie herunter. Wie Cameron. Genau wie der verdammte Detective Inspector Cameron Stadler. Dann legte ich mich aufs Bett und drückte das Gesicht ins Kissen. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen. Am liebsten wäre ich unter die Bettdecke gekrochen und hätte sie mir über den Kopf gezogen, um sicher zu sein, dass mich niemand finden würde. Aber ich war nicht sicher. Er konnte mich finden, und ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, meine Umgebung genau in Augenschein zu nehmen. Ich drehte mich um und schob mir das Kissen in den Nacken. Aus dieser Position konnte ich jeden Winkel des Zimmers sehen. Aber was nützte mir das? Vielleicht war es besser, nichts zu sehen und sich einfach umbringen zu lassen.
Ich versuchte, mir das Gespräch mit Lena noch einmal in Erinnerung zu rufen. Ich hatte Schwierigkeiten, es zu rekapitulieren. Ein paar Minuten lang versuchte ich mir eine optimistische Version davon zurechtzulegen.
Vielleicht war das Kindermädchen ja verrückt. Aber diese Erklärung fand ich selbst nicht sehr überzeugend.
Schließlich hatte sie Links, Grace Schilling und Cameron genannt. Hatte sie nicht gesagt, dass sie ganz in der Nähe wohnte? Das war immerhin ein Anhaltspunkt.
Jeden Freitag wird mir ein kostenloses Lokalblatt zugestellt, in das ich nicht mal einen Blick werfe. Ich interessiere mich nicht für neue Einbahnstraßen oder Leserbriefe aus meinem Stadtteil, sodass die Zeitung immer gleich in einen Schrank unter der Spüle wandert.
Hin und wieder missbrauche ich ein Exemplar für andere Zwecke, beispielsweise indem ich es zusammenknülle und in feuchte Schuhe stopfe. Da meine Schuhe schon eine ganze Weile nicht mehr feucht geworden waren, würden die Ausgaben der letzten Monate dort alle noch gestapelt sein. Ich verließ das Schlafzimmer und sagte Lynne, dass es mir schon ein wenig besser gehe und ich für uns beide Tee machen wolle. Ich füllte den Wasserkocher und schaltete ihn an. Das würde mir die Zeit verschaffen, die ich brauchte.
Ich ging fünf Ausgaben zurück. Die ersten beiden enthielten lediglich einen Bericht über eine Drogenrazzia und einen Brand in einer Lagerhalle, außerdem jede Menge Werbung. In der nächsten Ausgabe, die nur knapp zwei Wochen alt war, wurde ich dann fündig. Es war nur ein kleiner Artikel im Mittelteil der Zeitung. Meine Hände begannen so sehr zu zittern, dass ich befürchtete, das Geraschle würde Lynnes Aufmerksamkeit erregen.
Die Schlagzeile lautete: »Mord in Primrose Hill«. Rasch riss ich die Seite heraus. Der Wasserkocher hatte sich soeben abgeschaltet. Ich übergoss die Teebeutel.
»Einen Keks, Lynne?«
»Für mich nicht, danke.«
Ein paar Minuten hatte ich noch Zeit. Ich strich den Artikel auf der Arbeitsfläche glatt: Letzte Woche wurde eine Mutter von drei Kindern in ihrem 800000-Pfund-Haus in Primrose Hill ermordet.
Laut Polizeibericht wurde Jennifer Hintlesham, 38, am 3.
August tot aufgefunden. Die Polizei vermutet, dass sie am Spätnachmittag einen Einbrecher überrascht hat. »Eine Tragödie«, erklärte Detective Chief Inspector Stuart Links, der die Ermittlungen leitet. »Falls jemand Informationen hat, möchte ich die Betreffenden dringend bitten, sich mit dem Polizeirevier Stretton Green in Verbindung zu setzen.«
Das war’s. Ich las den kurzen Abschnitt immer wieder, als könnte ich ihm durch meine bloße Verzweiflung weitere Informationen entlocken. Von Briefen war nicht die Rede.
Wieder versuchte ich mir eine Version zusammenzuschustern,
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