Der Sommermörder
hatte, aber da ich davon ausging, dass Mrs. W. kein Blut auf dem Teppich haben wollte, entschied ich mich für eine Melone, einen Serviettenring und einen Trommelschlegel. Zum Glück ließ ich nichts davon fallen. Im Anschluss an meine Jongliernummer blies Zach lange Luftballons auf und drehte daraus verschiedene Tierformen. Dann stürmten die Kinder in die Küche, wo neben Würstchen und marmeladegefüllten Keksen ein großer, wie ein Zug geformter Geburtstagskuchen auf sie wartete. Damit war die Sache für uns gelaufen. Da Zach bereits nach seiner Zigarette lechzte, schob ich ihn nach draußen auf die Terrasse.
»Macht es dir wirklich nichts aus?«, fragte er, »das Zeug allein aufzuräumen?«
»Nein, raus mit dir!«
»Vergiss nicht, was ich gesagt habe, Nadia.«
»Ja, ja. Jetzt mach endlich die Fliege, Partner.«
»Du hast nicht vor, die Sache zu beenden, oder?«
Ich schloss für einen Moment die Augen. Es war, als könnte ich noch immer Camerons Mund an meinem Hals spüren.
»Ich weiß nicht. Ich kann es noch nicht sagen.«
Eltern und Kindermädchen begannen einzutrudeln – den Unterschied zwischen ihnen kann ich sogar aus kilometerweiter Entfernung erkennen. Ich nahm das Theater auseinander und begann es in der Kiste zu verstauen. Eine hübsche junge Frau kam mit einer Tasse Tee auf mich zu.
»Mrs.
Wyndham hat mich gebeten, Ihnen das zu bringen.« Sie hatte silberblondes Haar und einen lustigen Singsangakzent.
Dankbar nahm ich die Tasse entgegen.
»Sind Sie Olivers Kindermädchen?«
»Nein, ich bin gekommen, um Chris abzuholen. Er wohnt nur ein paar Häuser weiter die Straße entlang.« Sie griff nach einer unserer Handpuppen und inspizierte sie.
»Was Sie da machen, ist bestimmt ein harter Job.«
»Nicht so hart wie Ihrer. Haben Sie bloß den einen Jungen?«
»Es gibt noch zwei ältere Brüder, aber Josh und Harry sind im Internat. Gehört die Puppe auch in diese Tasche?«
»Danke.« Ich nahm einen Schluck von meinem Tee und fuhr dann mit dem Einpacken fort. Was das betraf, war ich mittlerweile eine richtige Künstlerin. Das Mädchen blieb stehen und sah mir zu. »Wo kommen Sie her?«, fragte ich sie. »Ihr Englisch ist phantastisch.«
»Aus Schweden. Eigentlich sollte ich schon wieder zu Hause sein, aber es ist was dazwischengekommen.«
»Oh«, antwortete ich vage. Wo war mein Zauberstab abgeblieben? Bestimmt hatte Oliver ihn mitgenommen, um herauszufinden, wie er sich in seine Einzelteile zerlegen ließ. »Vielen Dank für den Tee, ähm …«
»Lena.«
»Lena.«
Sie verschwand wieder in die Küche, wo sich wahrscheinlich sämtliche Kindermädchen versammelt hatten und über Männer und das Nachtleben sprachen, während sich ihre Schützlinge Teile des Schokoladenzugs in den Mund stopften. Die ersten Partygäste brachen bereits auf. »Hast du dich bedankt?«, hörte ich. Dann:
»Wo ist meine Partytüte?« und: »Harvey hat eine blaue!
Ich will auch eine blaue!«
Ich sammelte meine Sachen zusammen. Gott sei Dank stand Lynne mit dem Wagen draußen. Es hatte durchaus Vorteile, von einer ständig errötenden, eigensinnigen Polizistin begleitet zu werden. In der Eingangshalle stieß ich mit einem kleinen, blonden Jungen zusammen. Er hatte violette Augenringe und einen
schokoladenverschmierten Mund.
»Hallo!«, sagte ich fröhlich. Ich war fest entschlossen, einen schnellen Abgang zu machen.
»Meine Mummy ist tot«, erklärte er und fixierte mich mit seinen hellen Augen.
»Oh.« Ich blickte mich um. Wahrscheinlich stand die Mutter bei den anderen in der Küche.
»Ja. Mummy ist gestorben. Daddy sagt, sie ist im Himmel.«
»Wirklich?«
»Nein«, antwortete er und leckte kurz an seinem Lutscher.
»Ich glaube nicht, dass sie so weit weg ist.«
»Na ja, weißt du …«
»Ein Mann hat sie umgebracht.«
»Jetzt schwindelst du, oder?«
»Nein, es ist echt passiert!«, widersprach er in bestimmtem Ton.
Lena erschien mit seiner Jacke. »Komm, Chris, ab nach Hause!«, sagte sie.
Er nahm ihre Hand.
»Aber vorher möchte ich meine Partytüte haben!«
»Er behauptet, seine Mutter sei umgebracht worden«, wandte ich mich an sie.
»Ja.« Mehr sagte sie dazu nicht.
»Was? Wirklich?«
Ich stellte die Kiste ab und beugte mich zu Chris hinunter.
»Das tut mir sehr, sehr Leid«, erklärte ich unbeholfen.
Ich wusste nicht, was ich sonst noch sagen sollte.
»Kann ich jetzt meine Partytüte haben?« Ungeduldig zerrte er an Lenas Hand.
»Wann ist das passiert?«, fragte ich sie.
»Vor zwei
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