Der Sommermörder
denn dem meinen. Er strich sich die ganze Zeit leicht über die Wange, als wollte er mit seinen Fingerspitzen herausfinden, ob dort, wo ich ihn geschlagen hatte, eine verräterische Spur zu sehen war. Dann murmelte er etwas von einem wichtigen Termin.
»Den Rest besprechen wir morgen«, sagte ich.
»Was?«, fragte er kläglich.
»Den weiteren Ablauf«, antwortete ich.
Er sah mich einen Augenblick lang durchdringend an.
Dann zuckte er mit den Achseln und ging. Es traf mich fast ein wenig unerwartet, wieder mit Lynne allein zu sein.
Ich hatte mir noch gar nicht überlegt, was ich nach dem Gespräch mit Cameron mit ihr reden wollte.
»Möchten Sie was trinken?«, fragte ich sie.
Ich bin normalerweise nicht der Typ, dem am helllichten Tag nach einem Drink zu Mute ist, nun aber brauchte ich einen.
»Eine Tasse Tee wäre wunderbar.«
Also verzog ich mich in die Küche und schaltete den Wasserkocher an. Langsam kam ich mir vor wie Lynnes Großmutter, weil ich ständig Tee für sie kochte. Ich hängte den Teebeutel in die Tasse. Für mich fand ich ganz hinten in einem Schrank eine Flasche Whisky, den mir mal jemand aus einem Duty-free-Shop mitgebracht hatte.
Ich schenkte mir ein halbes Glas ein und füllte es mit kaltem Leitungswasser auf. Wir gingen mit unseren Getränken in den Garten hinaus. Obwohl inzwischen schon früher Abend war, brannte die Sonne noch immer unerbittlich herab.
»Cheers!«, sagte ich, stieß mein Glas leicht gegen ihre Tasse und nahm einen Schluck. Der Garten war natürlich in katastrophalem Zustand, aber gerade weil er so verwildert war, empfand ich ihn als ein Refugium, in das ich vor der schrecklichen Welt flüchten konnte, auch wenn ihre Geräusche durchaus noch zu hören waren. Wir stellten uns neben einen Busch, der mit einer Ansammlung zapfenförmiger violetter Blüten übersät war. Weiße und braune Schmetterlinge umflatterten sie wie vom Wind herumgeblasene Papierfetzen.
»Ich liebe es, mich abends hier draußen aufzuhalten«, bemerkte ich. Lynne nickte. »Ich meine, im Sommer.
Wenn es regnet, gehe ich natürlich nicht raus. Es macht mir Spaß, die Blumen anzusehen und mich zu fragen, wie sie wohl heißen. Kennen Sie sich mit Pflanzen aus?«
Lynne schüttelte den Kopf.
»Schade.« Ich nahm einen weiteren Schluck von meinem Drink. Dann legte ich los. »Ich schulde Ihnen eine Erklärung«, sagte ich, während sie gerade ihre Tasse an die Lippen hob, um mit einem vorsichtigen Nippen die Temperatur des Tees zu prüfen. Sie sah mich fragend an.
»Weswegen?«
»Gestern habe ich Sie gefragt, ob Sie das alles – ich meine, diese ganzen Sicherheitsvorkehrungen – nicht ein bisschen übertrieben finden. Dabei habe ich zu dem Zeitpunkt schon Bescheid gewusst.«
Lynne, die gerade ein zweites Mal ihre Teetasse an den Mund führen wollte, erstarrte mitten in der Bewegung.
Ich sprach weiter. »Wissen Sie, gestern ist etwas Komisches passiert. Auf dem Kinderfest bin ich mit dem Kindermädchen von einem der Jungs ins Gespräch gekommen. Dabei habe ich rein zufällig erfahren, dass sie für eine Frau namens Jennifer Hintlesham arbeitet – ich meine, gearbeitet hat.« Eines musste man Lynne lassen: Sie zeigte keinerlei sichtbare Reaktion, abgesehen davon, dass sie meinem Blick auswich. »Sie haben von ihr gehört?«, fragte ich.
Lynne ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Sie starrte auf ihre Tasse hinunter. »Ja«, sagte sie schließlich so leise, dass ich es kaum verstand.
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Eigentlich war es mehr eine Empfindung als ein Gedanke. Ich musste an das komische Gefühl denken, das ich immer gehabt hatte, wenn ich mit Max unterwegs war und er mir durch eine Bemerkung verriet, dass er an dem betreffenden Ort auch schon mit einer früheren Freundin gewesen war.
Irgendwie hatte mir das immer ein bisschen die Freude verdorben, obwohl ich natürlich wusste, dass das eine alberne Reaktion war.
»Haben Sie das mit ihr auch gemacht? Mit Jennifer?
Haben Sie mit Ihr im Garten gestanden und Tee getrunken?«
Lynne sah aus, als wäre sie am liebsten davongelaufen, aber das durfte sie ja nicht. Sie musste bleiben und auf mich aufpassen.
»Es tut mir Leid«, sagte sie. »Es ist mir schwer gefallen, Ihnen das zu verschweigen, aber es gab strikte Anweisungen. Man glaubte, das Ganze könnte traumatisch für Sie sein.«
»Hat Jennifer von Ihrer Vorgängerin gewusst?«
»Nein.«
Ich spürte, wie mir die Kinnlade herunterfiel. Entgeistert starrte ich sie an. Mir
Weitere Kostenlose Bücher