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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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dachte ich. Zum Teufel mit ihnen allen. Wir gingen zurück ins Haus, ohne uns anzusehen.
    Sie bereitete uns mit dem Rest Schinken, der noch im Kühlschrank lag, ein paar Sandwiches, und wir setzten uns schweigend vor den Fernseher. Ich bekam vom Programm kaum etwas mit. Stattdessen ließ ich voller Wut Szenen aus meiner jüngsten Vergangenheit Revue passieren, Gespräche mit Lynne, Links, Cameron. Ich musste daran denken, wie ich mit Cameron im Bett gelegen, wie er mich angesehen hatte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie viel erotische Anziehungskraft ein nackter Körper wie der meine besitzen konnte, der Körper einer Frau, die bald sterben würde, das aber nicht wusste. Wie fühlte sich ein Mann, dessen einziger Rivale ein Mörder war? Machte das den Sex für ihn aufregender? Je länger ich darüber nachdachte, desto widerlicher fand ich es.
    Ich hatte nie zuvor wirklich Angst gehabt und bin kein Mensch, der sich leicht einschüchtern lässt. Ich verliebe mich häufig, ich werde schnell wütend, und ich bin auch schnell glücklich, verärgert oder aufgeregt. Ich schreie, weine, lache. Diese Dinge liegen bei mir dicht beieinander. Die Angst hingegen verbirgt sich irgendwo in der Tiefe. Jetzt hatte ich Angst, aber dieses Gefühl löschte nicht alle anderen Emotionen aus, wie es beispielsweise Wut oder plötzliches sexuelles Begehren tun. Es war eher so, als wäre ich aus der Sonne in den Schatten getreten, wo es kalt und unheimlich war. In eine andere Welt.
    Ich wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. Ich dachte an meine Eltern, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Sie waren alt und ängstlich. Die beiden machten sich seit jeher Sorgen um mich, auch als es dafür noch keinen wirklichen Grund gab. Eine weitere Möglichkeit war Zach, der liebe, immer ein wenig bedrückt wirkende Zach. Oder vielleicht Janet. Wer von ihnen würde ruhig und stark sein, ein Fels in der Brandung? Wer würde mir zuhören? Wer würde mich retten?
    Dann, ohne es zu wollen, begann ich über die Frauen nachzudenken, die gestorben waren. Ich wusste nichts über sie, außer ihren Namen und dass Jennifer Hintlesham drei Kinder hinterlassen hatte. Ich musste an das kampflustige Engelsgesicht ihres kleinen Sohnes denken.
    Zwei Frauen, Zoë und Jenny. Wie hatten sie ausgesehen, und wie hatten sie sich gefühlt? Bestimmt hatten sie in der Dunkelheit wach gelegen, wie ich es jetzt tat, und die gleiche Angst empfunden. Die gleiche Einsamkeit. Jetzt waren es nicht mehr nur zwei Frauen, sondern drei, verbunden durch einen einzelnen Wahnsinnigen. Zoë und Jenny und Nadia. Nadia, das war ich. Warum ich?, dachte ich. Warum sie, und warum ich? Und überhaupt – warum?
    Aber noch während ich so dalag, mit klopfendem Herzen und brennenden Augen, wusste ich, dass mir nichts anderes übrig blieb, als diesen lähmenden, hilflosen Zustand zu beenden. Ich konnte nicht einfach nur darauf warten, dass etwas passierte oder andere Menschen mich aus diesem Albtraum retteten. Tränen, unter der Bettdecke vergossen, würden mich nicht retten. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, war es, als würde sich ein kleiner Teil tief in meinem Innern zum Kampf bereit machen.
    Ich schlief erst lange nach Mitternacht ein, und als ich am nächsten Morgen müde und benommen aus seltsamen Träumen erwachte, fühlte ich mich nicht direkt mutiger oder sicherer, aber irgendwie stärker, gestählter. Um zehn fragte ich Lynne, ob sie für eine Weile den Raum verlassen könnte, weil ich ein privates Telefongespräch führen musste. Sie wollte im Wagen warten, und nachdem sie gegangen war, rief ich Cameron in der Arbeit an.
    »Ich bin völlig am Ende«, erklärte er, kaum dass er am Apparat war.
    »Gut. Ich auch.«
    »Es tut mir so Leid, dass du dich von mir verraten fühlst.
    Das macht mich ganz fertig.«
    »Schon gut«, sagte ich. »Du kannst was für mich tun.«

    »Was immer du möchtest.«
    »Ich möchte die Akten zu dem Fall sehen. Nicht nur meine eigene, sondern auch die der anderen beiden Frauen.«
    »Das ist unmöglich. Sie sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.«
    »Ich weiß. Ich will sie trotzdem sehen.«
    »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
    »Ich möchte, dass du mir jetzt gut zuhörst, Cameron.
    Meiner Meinung nach hast du dich ziemlich mies verhalten, was die ganze Sexgeschichte betrifft.
    Wahrscheinlich hat dich der Gedanke, mit einem potenziellen Mordopfer Sex zu haben, auf eine perverse Weise angemacht. Tatsache ist aber, dass ich das Ganze

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