Der Sommermörder
ebenfalls genossen habe und außerdem ja eine erwachsene Frau bin. Ich habe kein Interesse daran, dich zu bestrafen, das möchte ich in aller Deutlichkeit klarstellen. Aber wenn du mir die Akten nicht bringst, gehe ich zu Links und erzähle ihm von unserer kleinen Affäre. Wahrscheinlich werde ich dann ein bisschen weinen und ihn darauf hinweisen, dass ich zu dem Zeitpunkt sehr angeschlagen und verletzlich war.«
»Das würdest du nicht tun!«
»Außerdem werde ich deine Frau anrufen und mit ihr darüber, plaudern.«
»Das würdest du nie fertig bringen. Das wäre –« Er machte ein Geräusch, das wie ein Husten klang, als bekäme er keine Luft mehr. »Du darfst es Sarah nicht erzählen! Sie ist in letzter Zeit so depressiv, sie würde das nicht verkraften.«
»Das ist mir völlig egal«, entgegnete ich. »Es interessiert mich nicht. Du brauchst mir bloß diese Akten zu besorgen.«
»Das würdest du nicht tun!«, wiederholte er mit gepresster Stimme.
»Hör gut zu, was ich dir jetzt sage. Da draußen ist ein Mann, der schon zwei Frauen umgebracht hat und als nächste mich töten möchte. Mich interessieren im Moment weder deine Karriere noch die Gefühle deiner Frau. Wenn du mit mir Poker spielen möchtest, dann versuch’s. Ich will, dass die Akten morgen früh hier auf dem Tisch liegen, und ich brauche Zeit, sie durchzusehen. Dann kannst du sie wieder mitnehmen.«
»Das geht nicht.«
»Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Ich werde es versuchen.«
»Ich will sämtliche Akten, die es dazu gibt.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
»Tu das. Und denk dabei an deine Karriere. Denk an deine Frau.«
Ich hatte damit gerechnet, dass ich nach diesem Gespräch losheulen oder mich zumindest schämen würde, aber dem war nicht so. Als ich mich selbst im Spiegel über dem Kamin sah, war ich überrascht. Endlich mal wieder ein freundliches Gesicht.
12. KAPITEL
ch räumte meinen Wohnzimmertisch ab, aber es war noch imm
I
er nicht genug Platz. Nachdem Cameron es geschafft hatte, Lynne loszuwerden, musste er dreimal gehen, um die Akten aus seinem Wagen zu holen. Es waren zwei prall gefüllte Mappen und zwei Pappkartons.
Er lud die roten, blauen und beigefarbenen Akten auf dem Tisch und, als dort kein Platz mehr war, auch auf dem Teppich ab. Schließlich schaffte er keuchend die letzte Ladung herein. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, seine Haut wirkte schlaff und grau.
»Ist das alles?«, fragte ich ironisch, nachdem er den letzten Stoß auf dem Boden abgelegt hatte.
»Nein«, antwortete er.
»Ich habe doch gesagt, dass ich alles sehen will!«
»Dafür brauchte man einen kleinen Lieferwagen«, erklärte er.
»Das sind die aktuellen Akten aus dem Revier, außerdem alle anderen, zu denen ich direkten Zugang habe. Ich weiß sowieso nicht, was du dir davon erhoffst.
Du wirst feststellen, dass das meiste für dich völlig unverständlich ist.« Er ließ sich in dem unbequemen Korbstuhl in der Ecke nieder. »Du hast dafür zwei Stunden Zeit. Und wenn du irgendjemandem erzählst, dass du diese Akten eingesehen hast, bin ich meinen Job los.«
»Sei still!« Ich griff aufs Geratewohl nach einer der Mappen.
»Wie sind sie geordnet?«
»Bring sie bloß nicht durcheinander!«, ermahnte er mich. »In den grauen Akten findest du hauptsächlich Zeugenaussagen. Die blauen enthalten unsere eigenen Berichte und Dokumente. Die roten sind Gerichtsmedizin und Spurensicherung. Die Systematik ist nicht immer ganz konsequent durchgehalten, aber sämtliche Akten sind außen beschriftet.«
»Gibt es auch Fotos?«
»Die Alben neben deinen Füßen enthalten Fotos der Tatorte.«
Ich blickte nach unten. Wie seltsam, dass die Polizei für die Fotos Ermordeter die gleiche Sorte Album benutzte wie andere Leute für ihre Urlaubsschnappschüsse. Ich schauderte. War das wirklich eine gute Idee gewesen?
»Ich werde sie mir gleich ansehen. Ich möchte wissen, wie die beiden ausgesehen haben.«
Cameron kam herüber und begann in den Unterlagen auf dem Tisch herumzusuchen, wobei er leise vor sich hinmurmelte.
»Hier«, sagte er. »Und hier.«
Als ich nach den Akten griff, nahm er meine Hand. »Es tut mir Leid«, flüsterte er.
Ich entzog sie ihm. Mir blieb nicht viel Zeit. »Lass mich allein«, sagte ich. »Geh raus in den Garten. Ich rufe dich, wenn ich fertig bin.«
»Und wenn ich mich weigere?«, fragte er müde. »Rufst du dann meine Frau an?«
»Ich kann nicht lesen, wenn du hier bist.«
Er schwieg einen Moment. »Es ist keine
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