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Der Sommermörder

Titel: Der Sommermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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wenn ich mit Ihnen auch noch über mein Sexualleben spreche. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen – kurz nachdem Harry auf die Welt kam, hatte er eine … eine Bettgeschichte.«
    »Eine Bettgeschichte?« Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Ja.«
    »Wie lang ging das?«
    »Ganz genau weiß ich es nicht. Vielleicht ein Jahr.
    Achtzehn Monate.«
    »Dann war das aber nicht nur eine Bettgeschichte, oder?
    Eher schon was Ernsteres.«
    »Er hatte nie vor, mich zu verlassen. Die andere hatte er zusätzlich. Männer verhalten sich immer so klischeehaft, finden Sie nicht? Ich war damals ständig müde und hatte ein bisschen zugenommen.« Ich berührte die Haut unter meinen Augen. »Ich wurde eben langsam älter.«
    »Jenny«, sagte sie sanft, »Sie waren doch erst Ende zwanzig, als Harry geboren wurde.«
    »Und wenn schon.«
    »Was haben Sie dabei empfunden?«
    »Darüber möchte ich nicht sprechen. Tut mir Leid.«
    »Schon gut. Hat es noch andere gegeben?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht.«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Ich will es nicht wissen. Wenn er irgendeine dumme Affäre hat, ist es mir lieber, er behält es für sich.«
    »Sie glauben, dass er Affären hat?«
    »Wie ich gerade gesagt habe: Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
    Gegen meinen Willen musste ich daran denken, wie Clive Gloria angesehen hatte. Ich schob den Gedanken schnell wieder beiseite.
    »Aber Sie selbst haben keine?«
    »Wie ich Ihnen letztes Mal schon gesagt habe: Nein.«
    »Nie?«
    »Nein.«
    »Und Sie waren auch nie nahe dran?«
    »Lieber Himmel, nun hören Sie endlich auf!«
    »Führen Sie und Ihr Mann ein befriedigendes Sexualleben?«
    Ich schüttelte abwehrend den Kopf. »Tut mir Leid«, sagte ich.
    »Ich kann nicht.«

    »Schon gut.« Wieder klang ihre Stimme unerwartet sanft.
    »Glauben Sie, dass Ihr Mann Sie liebt?«
    Ich blinzelte. »Mich liebt?«
    »Ja.«
    »Ein großes Wort.« Sie reagierte nicht. Ich holte tief Luft.
    »Nein.«
    »Glauben Sie, dass er Sie mag, Sie gern hat?«
    Ich stand auf. »Das reicht«, sagte ich. »Für Sie ist das leicht. Sie machen sich ein paar kurze Notizen über dieses Gespräch, und das war’s dann, aber ich muss damit leben, und das möchte ich nicht. Warum wollen Sie all diese Dinge von mir wissen? Ich habe die Rasierklingen schließlich nicht von Clive geschickt bekommen!« Neben der Tür blieb ich stehen. »Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass das, was Sie da tun, ziemlich grausam ist? So, wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe zu tun …«
    Dr. Schilling ging, und ich blieb allein im Wohnzimmer zurück. Ich fühlte mich, als hätte mich jemand auf den Kopf gestellt und mein ganzes Inneres auf den Boden geleert.

    9. KAPITEL
    raußen konnte ich den Wind in den Bäumen hören.
    Am
    D liebsten hätte ich die Fenster geöffnet und die Nachtluft in alle Räume gelassen, aber das ging nicht. Ich durfte nicht. Alles musste aus Sicherheitsgründen geschlossen und verriegelt bleiben. Die Luft im Haus war abgestanden, verbraucht. Ich war in diesem Haus eingesperrt, die Welt war ausgeschlossen, und ich spürte, wie alles rund um mich herum langsam wieder in Chaos und Hässlichkeit versank: Tapeten hingen von den Wänden, Stuckarbeiten brachen ab, Bodendielen waren herausgerissen, sodass man die dunklen, schmutzigen Löcher darunter sehen konnte. Der Staub und die Flusen und Fitzelchen vieler Jahre kamen langsam wieder an die Oberfläche. All die unvollendete Arbeit, all meine Träume von perfekten Räumen: kühles Weiß, Zitronengelb, Schiefergrau, Erbsengrün, Pointilismus in der Diele, ein Feuer im Kamin, tanzende Schatten auf dem weichen, cremefarbenen Teppich, das große Piano mit einem Strauß Gladiolen darauf, die runden Tischchen für Drinks in geschliffenen Gläsern, meine Drucke, von oben angestrahlt, und durch die Fenster weite Ausblicke auf grüne Rasenflächen und blühende Sträucher.
    Mein Körper war schweißnass. Ich wendete mein Kissen, um eine kühlere Stelle für meinen Kopf zu finden.
    Draußen rauschte der Wind in den Blättern. Um mich herum war es nicht völlig dunkel, die Straßenlampen warfen ein schmutzig oranges Licht in den Raum. Ich konnte schemenhaft meine Umgebung erkennen: die Frisierkommode, den Sessel, den großen Schrank, die etwas helleren Rechtecke der beiden Fenster. Und ich konnte sehen, dass Clive noch immer nicht da war. Ich setzte mich im Bett auf und spähte zu den Leuchtziffern des Weckers hinüber. Ich beobachtete, wie eine

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