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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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Kleider getragen hatten, deren Säume über den Boden strichen und Staub aufnahmen (und alles Mögliche andere), als die High Street noch nicht gepflastert gewesen war und ständig Stroh hereinwehte. Man musste die Säume jeden Abend kräftig ausbürsten, bevor man, zu Tode erschöpft, ins Bett sank.
    Und obwohl die arme Miss Raikes an Auszehrung und an einem zu engen Korsett gestorben war, obwohl man sich damals geschämt hatte, seine Füße zu zeigen, weil die Zehen ganz verkrümmt waren, in den viel zu kleinen Schuhen, von den Haaren ganz zu schweigen, das würdest du nicht glauben, Vi, in welchem Zustand unsere Haare damals waren, selbst wenn ich’s dir erzählen würde – hatte Miss Cattyman kein gutes Wort für die heutige Zeit übrig und wünschte die Vergangenheit zurück. Jede Woche Haarewaschen, leichte Seidenunterwäsche anstelle von steifen Korsetts, feste (und kürzere) Ladenöffnungszeiten, Woolworth – all das war natürlich gut, gab Miss Cattyman zu, aber früher war’s trotzdem besser. Warum, konnte sie nicht sagen, es war eben so: Früher war alles besser gewesen.
    Dennoch erfreute sich Miss Cattyman an der Gegenwart, selbst wenn sie, wie jetzt, beängstigend war. Miss Cattyman hatte es immer vermocht, ein Drama aus Burgess and Thompson zu machen, schon seit sie vor fünfzig Jahren angefangen hatte. Anstelle von Liebe, Romantik, Heirat, Haus, Kindern, Literatur und Kunst hatte Miss Cattyman Burgess and Thompson. Das andere hatte sie nie vermisst. Jeder Tresen, jede Schublade, jede Schachtel enthielt Erinnerungen, versüßt durch Gedanken an deinen armen, lieben Vater, Vi und an fünfzig Jahre treue Dienste.
    Als Viola Miss Cattyman, die einen ausgeprägten Sinn für Würde und Schicklichkeit besaß, offen weinen sah und das auch noch vor einer Kundin und vor Miss Lint, die immerhin erst seit zwölf Jahren dabei war, wusste sie sofort, dass das Schlimmste passiert sein musste.
    Miss Cattyman blickte bei Violas Eintreten auf, und ein Ausdruck von Freude und Erleichterung huschte über ihr runzliges Gesicht. Sie begann die roten, weißen und blauen Stoffbänder schneller aufzurollen. Viola schenkte Miss Lint ein herablassendes Lächeln, das diese gehässig erwiderte, dann setzte sie sich auf einen der hohen, dreibeinigen Hocker und wartete darauf, dass Catty Mrs Buckle zu Ende bediente. Die anderen Verkäuferinnen waren beim Lunch. Früher hatten sie ihre Pause immer im Hinterzimmer, bei Tee und Brötchen gemacht; jetzt gingen sie meistens raus, in den Bunne Shoppe , ins Lyons oder, wenn sie in übermütiger Stimmung waren, ins Miraflor; und statt Tee mit Brötchen aßen sie hauchdünne Sandwiches mit Krabbenmayonnaise (aus der Dose) und tranken dazu Kaffee.
    Viola schaute sich um und entdeckte vielerlei Anzeichen für Mr Burgess’ Bemühen um mehr Modernität und Effizienz. Verschwunden waren die alten Kartons, deren Schnüre man immer erst mühsam hatte aufdröseln müssen, wenn jemand schwarze Strümpfe oder Flechtkämme hatte kaufen wollen. Die Kämme lagen jetzt in einem Schaukasten (auch neu) und waren mit Kunstblumen von Woolworth dekoriert. Was die schwarzen Wollstrümpfe anging, die hatte man ausgemustert, die zog heutzutage kein Mensch mehr an. Verschwunden war auch das kleine Holzkästchen, das immer oben an einem Draht quer durch den Laden gesaust war, mit Quittungen und Wechselgeld. Viola bedauerte das Verschwinden der kleinen Schwebebahn – als Kind hatte sie sich immer so danach gesehnt, ihre kleinen Puppen darin auf große Fahrt zu schicken, aber das hatte Catty ihr nie erlaubt, wenn sie sie hütete, während alle anderen in der Mittagspause waren. Jetzt gab es schicke grüne Tragetaschen mit der Aufschrift »Burgess and Thompson: Everything for Ladies’ and Children’s Wear« anstelle des gewöhnlichen braunen Packpapiers und der Schnur, die man immer aus einer Blechdose mit Loch im Deckel herausgezogen hatte. Verschwunden waren die alten, braunen, hässlichen Wachstuchdecken, dafür gab es nun neue grüne, und auf einer Theke in der Ecke (ja, jene Kurzwarentheke, auf der sich Viola vor ihrer Hochzeit die Augen ausgeweint hatte) lagen nun kleine bunte Pullis, Strampler und Schühchen für die Kleinsten, dazu eine große Mickymausfigur, um Kinder zu beruhigen, die sich vor der Anprobe fürchteten.
    Sieht eigentlich alles ganz hübsch aus, dachte Viola. All der ganze alte Plunder, der schon vor Jahren hätte rausmüssen. Aber ich hoffe trotzdem, dass sie Catty nicht

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