Der Sommernachtsball
meinte sie, sie würde sich doch nicht an die Kandare legen lassen, so wie andere. Bewerber gäbe es genug, fügte sie hastig hinzu.
Annie gab das meiste davon an Mrs Theodore weiter. Die Dienstboten hatten sich mittlerweile an Mrs Theodore gewöhnt, man kannte sie jetzt und wusste sie einzuschätzen. Außerdem wirkte sie nicht mehr ganz so ungestüm und jung und rastlos wie zu Anfang, sodass ein kleiner Schwatz mit ihr hie und da der Würde des Personals keinen Abbruch tat.
Als Viola das hörte, lebte ihre ganze Verzweiflung wieder auf. Am 25. schon! In nicht ganz einem Monat also. Nichts konnte das jetzt mehr aufhalten. Und die Hochzeit würde in London stattfinden, was bedeutete, sie würde ihn auch nicht ein letztes Mal sehen können, selbst wenn das ein zweifelhafter Trost gewesen wäre. Nicht, dass ich tatsächlich hingegangen wäre, versicherte sie sich hastig; ich könnte meinen Besuch bei Shirley natürlich verschieben und erst dann hinfahren, aber einen Teufel werde ich tun. Ich lauf ihm doch nicht auch noch hinterher. Außerdem würde ich ja doch bloß heulen, und alle würden’s sehen.
Aber sie beschloss, sich die Londoner Abendzeitungen zu besorgen und auch die Morgenzeitung für den Tag nach dem 25., falls Fotos von der Hochzeit drin sein sollten. Daher nahm sie nach dem Mittagessen den Bus nach Chesterbourne, um sie bei einem Zeitschriftenhändler zu bestellen. Sie wollte nicht, dass sich in Sible Pelden herumsprach, die junge Mrs Wither von The Eagles habe sich bei Croggs, der im Dorf Süßigkeiten, Tabakwaren und Zeitungen verkaufte, Gazetten aus London bestellt. Warum, würde man sich fragen, und nicht damit aufhören, bis man daraufkam.
Es war Samstag, ein grauer Tag, aber ganz anders als die grauen Wintertage, denn die Luft war mild, und die Hügel hinter der Stadt schienen ganz nah zu sein, als hätte sie jemand mit einem Fotoapparat herangeholt. In den knospenden Bäumen saßen Vögel und – nein, sie sangen nicht, aber sie schwatzten und zwitscherten, als ob sie sich eine Menge zu sagen und zu planen hätten.
Ich werde kurz bei Catty reinschauen, beschloss Viola, als sie beim Uhrenturm aus dem Bus stieg. Es ist fast drei viertel drei, der alte Burgess wird jetzt beim Lunch sein. Sie machte sich, schon ein wenig munterer, auf den Weg über die Hauptstraße, bewunderte die neuen Schaufensterauslagen und atmete tief die Frühlingsluft in sich ein, mit all ihren mysteriösen Bestandteilen, die ihr vom milden Wind zugetragen wurde.
Vor Woolworth herrschte wie immer Gedränge. Viola schaute sich um, als sie an einer Ampel stehen bleiben musste. Dabei fiel ihr Blick auf ein schickes Auto, etwas weiter vorne. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus: Victor saß darin und neben ihm Phyllis. Das Erste, was ihr auffiel, war, wie braungebrannt sie waren. Und das Zweite, dass sie sich offenbar stritten.
Victors Gesicht war düster und grimmig (das war es in letzter Zeit meistens), und Phyllis wirkte bitterlich amüsiert. Sie schnappten einander an wie bissige Hunde, während sie an der Ampel warteten. Schnapp, schnapp schnapp schnapp schnapp schnapp, schnapp schnapp?, machte Phyllis’ Mund, und Victor antwortete mit drei wütenden Schnapp schnapp schnapp . Dann fuhren sie weiter.
Viola konnte nicht anders, sie freute sich. Ihr und Shirley war aufgefallen, dass Pärchen, die sich schon vor der Hochzeit anfauchten, das auch meist nach der Hochzeit tun. Vielleicht würden sich Victor und Phyllis, wenn sie sich zwei, drei Jahre lang angefaucht hatten, ja wieder scheiden lassen. Und dann könnte ich ihn vielleicht haben, dachte Mrs Wither, während sie, in hoffnungsvollerer Stimmung als zuvor, Burgess and Thompson betrat. Ihre Ansichten über die Ehe waren leider ebenso beschränkt wie über alles andere.
Aber als sie Miss Cattyman erblickte, vergaß sie Victor vorübergehend, denn Miss Cattyman bediente gerade jemanden (glücklicherweise nur die beinahe blinde alte Mrs Buckle), und dabei liefen ihr die Tränen übers Gesicht.
Miss Cattyman war seit fünfzig Jahren bei Burgess and Thompson. Sie hatte mit sechzehn dort angefangen und würde nun in wenigen Tagen sechsundsechzig werden. Sie kannte den Laden schon lange, bevor Violas Vater eingestiegen war; sie konnte sich noch an die Zeit erinnern, als er Patner and Hughes geheißen hatte und Mr Patner die Mädchen so lange arbeiten ließ, wie er wollte … als es noch keine frühen Ladenschlusszeiten und all das gegeben hatte … als sie noch lange
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