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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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fand keinen Grund, sich nicht für einige Minuten zu verdrücken und es sich mit ihrem neuen Buch EMBLEME DES MITHRASKULTS , dem Geschenk ihrer Schulfreundin, im Gemüsegarten hinter dem Wassertank bequem zu machen.
    Auch in diesem Jahr standen die Obstbäume wieder in schönster Blüte: Mandelblüten, Kirschblüten, die Birnbäume ein Wasserfall aus weißen Sternchen, dazu das Dunkelrosa des sibirischen Holzapfels. Hetty ließ sich auf den drei Ziegelsteinen nieder und begann die Seiten von EMBLEME DES MITHRASKULTS aufzuschneiden. Sie hatte jedoch erst ein paar feurige, funkelnde Zeilen gelesen, als sie das Buch auch schon in den Schoß sinken ließ, den Kopf an den Wassertank lehnte und zum blassblauen Himmel hinaufschaute.
    Wie mühselig das Leben war, wie kompliziert, wie vergiftet! Wie schwer es war, den Mut aufzubringen, für das einzutreten, was man wollte, und es auch zu tun, ohne sich davon abhalten zu lassen. Sie hatte Mrs Spring eigentlich schon beim Frühstück sagen wollen, dass sie fortgehen würde, dann hatte sie es bis nach der Party aufgeschoben. Jetzt war es halb sieben Uhr abends, an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, ein Tag, den sie schon seit sieben Jahren herbeisehnte, und sie hatte es ihrer Tante noch immer nicht gesagt. Und allmählich bekam sie Angst, dass sie es nie tun würde. Sie sagte sich: heute Abend. Heute Abend sag’ ich’s ihr, aber sie spürte selbst, wie schwächlich sich das anfühlte, wie eine Ausrede. Um sich Mut zu machen, stellte sie sich ihr kleines Mansardenzimmer in Bloomsbury vor – vielleicht ganz nah bei dem Haus, in dem Virginia Woolf gelebt hatte – und den Ausblick auf die Dächer und auf die hellen und dunklen Kaminröhren, auf den diesigen Himmel über London, das ferne Rauschen des Verkehrs unten, das Zischen des Kaffees auf dem Gaskocher und sie selbst, wie sie vollkommen versunken, vollkommen zufrieden, in einem Buch las.
    Seufzend senkte sie ihren Blick wieder auf EMBLEME DES MITHRASKULTS , da erhaschte sie aus den Augenwinkeln etwas Weißes zwischen den Bäumen. O nein, das war sicher Davies; sie hatte ihr aufgetragen, Bescheid zu sagen, wenn man anfing, sie zu vermissen.
    Ja, es war die kleine Waliserin. Aber sie hatte noch jemanden bei sich, ein mageres, mittelgroßes Männchen, das etwas gebeugt ging und keinen Hut trug, dafür aber – nein, sie täuschte sich nicht – einen Stapel Bücher unter dem Arm. In der anderen Hand hielt er, steif von sich gestreckt, ein rundliches weißes Paket.
    Jetzt kamen sie unter den Apfelblüten hervor. Der Fremde, der eine Brille trug, schaute hingerissen zur Blütenpracht hinauf, als würde er sich mehr dafür interessieren als für Hetty, die unschlüssig aufgestanden war.
    Die kleine Waliserin eilte ein wenig voraus, der Fremde trottete etwas langsamer hinterher.
    Eilig sagte sie: »Ach, Miss Hetty, ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich den Herrn hierherführe, aber Madam unterhält sich gerade mit Lady Dovewood, und da er ohnehin Sie sehen wollte, Miss, da dachte ich, bringst ihn gleich mit …«
    »Ja, und als ich hörte, dass du dich mit einem Buch im Gemüsegarten versteckst, da dachte ich gleich, du hättest nichts dagegen, wenn ich dich kurz störe«, meinte der Fremde und schaute sie mit gütigen, schwärmerischen Augen durch seine dicke Brille an, »denn das hat dein Vater auch immer gemacht – sich mit einem guten Buch verdrückt, sobald sich die Gelegenheit bot. Ich bin sein Bruder, meine Liebe, dein Onkel Frank Franklin.«
    Er stellte sein Buchpaket kurzerhand und ohne die geringste Verlegenheit auf dem Boden ab und bot Hetty seine Hand, die sie verwirrt schüttelte.
    Die kleine Waliserin blickte lächelnd zwischen den beiden hin und her. »Na also, Miss Hetty, Ihr Onkel. Ist das nicht ein schönes Geburtstagsgeschenk?«
    »Ja … danke, Davies«, murmelte Hetty. Sie konnte nicht aufhören, ihren Onkel anzustarren, sein frisches, schmales Gesicht, in dem sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit sich selbst entdecken konnte.
    »Dann geh ich jetzt lieber wieder, Miss Hetty, wenn Sie gestatten?«, meinte Davies »Und wenn ich Sie wäre, Miss, würde ich auch nicht mehr allzu lange hier draußen bleiben, Madam wird sicher jeden Moment nach Ihnen fragen.«
    »Gut, Davies. Danke, wir kommen bald nach.« Hetty schaute sich konfus nach einem Sitzplatz für Onkel Frank Franklin um. Der jedoch nahm, ohne ein Wort zu sagen, drei weitere Ziegelsteine von einem Stapel, stellte sie aufeinander und setzte

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