Der Sommernachtsball
hängte ein und starrte verdattert zu dem hohen bleichen Rechteck des Treppenfensters hinauf. Also wirklich – gute Güte. Und eine Sekunde lang war sie drauf und dran, nicht hinzugehen. Es wurde schließlich schon dunkel, und die Hausmädchen würden sie sehen und …
Aber dann dachte sie: Wenn ich nicht komme … dann wird er denken, ich will nicht. Sie wandte sich um und rannte die Treppe hinauf, um ihren Mantel zu holen.
Kurz darauf zog sie lautlos die Haustüre hinter sich zu.
Es herrschte jenes geheimnisvolles Licht, das man »Eulenlicht« nennt, in dem vieles möglich scheint und alles Weiße besonders weiß wirkt: Die Straße, ein blühender Busch, Violas Schuhe, Blümchen im Straßengraben, alles sah aus wie gebleicht. Die Bäume dagegen waren dunkel, die Blätter weder grün noch schwarz, sondern irgendwie dazwischen. Die Nacht schien sich zwischen ihnen zu verstecken, als wolle sie noch nicht in die Dämmerung hinaustreten.
Sie bog in den kleinen Waldweg ein, der zum Bächlein am Talgrund führte. Um sie herum wurde es immer stiller, die Baumkronen hüllten mit ihren reglosen Blättern den Pfad ein. Eine Eule zog dicht über ihr hinweg. Dann drang auf einmal das Rauschen des Bachs an ihr Ohr. Angeschwollen vom Frühlingsregen plätscherte er über Wurzeln und Steine. Eine weiße Hemdbrust blinkte zwischen den Bäumen hervor; er winkte ihr zu.
Er war barhäuptig und trug nur einen leichten Staubmantel über dem Smoking. Sie freute sich, dass er einen Smoking anhatte, das sah so romantisch aus, doch gleichzeitig merkte sie, dass er zornig zu sein schien. Sie erschrak.
Er half ihr über den Bach. Als sie drüben war, ließ er ihre Hand nicht los, sondern zog sie an sich. Sie protestierte nicht, sondern klammerte sich an ihn und erwiderte seine Küsse mit geschlossenen Augen.
Einmal hielt er kurz inne, musterte sie sekundenlang und küsste sie dann weiter. Beide sprachen kein Wort. Violas Gedanken wirbelten durcheinander. Es war so still und unheimlich, und er war so seltsam, seine Küsse waren fast zornig. Sie hätte gern etwas gesagt, das Schweigen gebrochen, wusste aber nicht wie. Er wurde immer aggressiver, fast brutal, und da bekam sie zum ersten Mal Angst vor ihm. Erschöpft stemmte sie sich von ihm weg und flüsterte:
»Bitte nicht, bitte.«
»Wieso nicht?«, murmelte er.
»Weil ich mich fürchte.«
»Komm Viola, komm mit mir, lass uns von hier weggehen.«
Sie starrte ihn verwirrt an; konnte nicht glauben, was sie da hörte. Er schüttelte sie ein wenig.
»Hörst du nicht, was ich sage? Ich will dich, ich muss dich unbedingt haben. Du musst mitkommen. Lass dir was einfallen, sag irgendwas, aber komm mit mir. Wir nehmen ein Flugzeug, was hältst du davon? Wir fliegen nach Paris – nur du und ich.«
»Aber Sie … du … was ist mit ihr? Ihrer Braut, meine ich?«
»Ach, das ist vorbei, Gott sei Dank«, antwortete er rau.
»Du wirst sie nicht heiraten? Ganz sicher nicht?«
»Nein.«
»Im Ernst? Das – das ist kein Witz, oder?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Verstehst du nicht? Ich will, dass du mit mir kommst. Ich will nächstes Wochenende mit dir weg. Ich hab das hier so satt«, und er packte sie, wie um sie wieder an sich zu ziehen.
Aber sie wich einen Schritt zurück, streckte scheu die Hand vor und hielt ihn auf Armlänge von sich weg. Es war so dunkel, dass er ihre Augen nur als Schatten in ihrem hellen, schemenhaften kleinen Gesicht sehen konnte. Mit einer Stimme, in der sowohl Zweifel als auch Hoffnung und eine große Sehnsucht mitschwangen, sagte sie:
»Du … du willst mich nicht heiraten, oder?«
Er schnaubte. »Nein, danke, davon hab ich erst mal die Schnauze voll.«
Da brach sie in Tränen aus, wich stolpernd vor ihm zurück.
»Oh, wie kannst du nur so abscheulich zu mir sein! Ich hab dir doch nie was getan. Ich bin hergekommen, weil du mich gebeten hast … und du nimmst mich und lässt mich wieder fallen, ganz wie’s dir beliebt … du bist so grausam … das ist unerträglich, ich wollte, ich wär tot … nach Paris soll ich mit dir gehen … nach Paris … jeder weiß doch, was das heißt … wofür hältst du mich, ich bin doch nicht … nicht so eine … ich bin dir doch egal, du denkst, bloß, weil ich Witwe bin und mal Verkäuferin war, kannst du so mit mir reden … du denkst, ich bin ein … ein Flittchen … aber das bin ich nicht … das bin ich nicht! … Mein Gott, wie schrecklich … du musst doch wissen, du musst doch wissen, dass ich … so eine bin
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