Der Sommernachtsball
ich nicht! «
Schluchzend wandte sie sich ab und stolperte davon, die Hände in den Manteltaschen vergraben. Er machte zwei Schritte hinter ihr her, doch dann blieb er stehen, zuckte mit den Schultern und holte seine Zigaretten heraus. Er schaute der weißen Gestalt nach, die stumm zwischen den Bäumen verschwand.
Ernüchtert, zweifelnd und mehr als nur ein wenig beschämt machte er einen tiefen Zug und ließ sich auf einen Baumstumpf sinken. Er war so müde, so niedergeschlagen, er dachte nicht einmal daran, dass er sich auf dem moosigen Holz den Hosenboden schmutzig machen könnte. Ein langer, harter Arbeitstag lag hinter ihm, dazu ein heftiger Wutanfall und danach ein ebenso heftiger Anfall von Leidenschaft. Er war vollkommen ausgelaugt. Gähnend ließ er den Kopf in die Hand sinken und schloss die Augen. Er hätte hier und jetzt, so wie er war, einschlafen können. Morgen musste er die Londoner Wohnung wieder loswerden, alle Einladungen absagen, die Geschenke zurückgeben. Phyls Vater würde ihm auf den Pelz rücken und auch Phyls Mutter, wenn er sie auch nur ein bisschen kannte. Dazu noch Hettys neue Spinnereien, um die er sich kümmern musste …
Wieder gähnte er. Es war jetzt fast dunkel. Es roch nach frischem Grün, doch alles, was er riechen konnte, war Zigarette. Weiber. Die reinsten Teufel, das sagten alle, und kein Wunder. Was wollten sie eigentlich? Die meisten Mädchen hätten sich auf eine solche Chance gestürzt. Woher sollte er wissen, dass sie zu den Anständigen gehörte? Die gab’s ja heutzutage kaum noch. Ihre geschockte Reaktion hatte ihm selbst einen Schock versetzt. Er kam sich vor wie ein Schwein. Arme Kleine. Wie sie geweint hatte. Auf einmal erwachte eine so tiefe Sehnsucht in ihm, eine so tiefe Leidenschaft, aber auch Scham, dass er unwillkürlich aufsprang, seine Zigarette austrat und sich davonmachte. Am Waldrand angekommen sah er zum Haus hinüber. Gerade stiegen vier junge Leute aus einem Wagen, der auf der Auffahrt hielt. Da fiel ihm voller Ingrimm die Dinnerparty ein.
Er schlich sich unbemerkt ins Haus und ging sofort auf sein Zimmer. Dort warf er sich aufs Bett und wartete, bis er hörte, wie man sich unten zum Dinner versammelte. Dann läutete er und ließ sich das Abendessen aufs Zimmer bringen. Er aß es vor dem elektrischen Kamin, denn er fror, gelegentlich gähnte er heftig. Fast zum ersten Mal in seinem sonnigen, erfolgreichen, gut durchorganisierten Leben war er zutiefst unglücklich.
Die eine hielt ihn für einen Langweiler, die andere für einen Lump.
Man lernt nie aus, dachte er, den Mund voller Räucherlachs. Ich hätte mich weder für das eine noch für das andere gehalten.
Arme Kleine. Wie sie geweint hatte. Richtig gezittert hatte sie. Ziemlich anständig von ihr, mir so eine Abfuhr zu erteilen, denn es lag sicher nicht daran, dass sie nicht gern mitgekommen wäre. Nein, sie ist eben einfach anständig, das ist es. Und die sind heutzutage rar, die Anständigen. Die meisten sind richtige kleine … Nein, sie hat’s einfach nicht für richtig gehalten, deshalb hat sie nein gesagt. Sie ist … rein und unschuldig, das ist es. Komisch, hab sie vollkommen falsch eingeschätzt. Oh, aber sie lässt sich gern von mir küssen, die ist nicht wie Phyl.
Das ist ein anständiges Mädchen. Tja, mein Junge, du wolltest ja immer wissen, wie die so sind. Jetzt weißt du’s.
Nicht, dass sie je noch mal mit mir reden wird.
Ich hätte sie nicht fragen dürfen, aber woher hätte ich das wissen sollen, verdammt noch mal?
Wie sie geweint hat. Das war echt, das war nicht gespielt.
Ach verflucht, ich nehm jetzt ein heißes Bad.
Und das tat er.
Viola schlich lautlos die Eingangsstufen hinauf, damit die Hausmädchen sie nicht hörten; ebenso leise schloss sie die Haustür auf. Sie zitterte vor Kälte, und ihre Augen waren so geschwollen vom Weinen, dass sie kaum etwas sehen konnte. In der schwach beleuchteten Diele mit ihren Fliesen war es sogar noch kälter als draußen, in der kalten Frühlingsluft; sie hatte das Gefühl, dass ihr nie wieder warm werden würde. Sie sehnte sich nur noch danach, ins Bett zu kriechen und zu schlafen. Dafür hielt er sie also … für so eine …
Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, mit einem Gefühl, als wäre sie verprügelt worden, schleppte sie sich hinauf in ihr Zimmer und machte die Tür fest hinter sich zu.
Um halb elf kamen die anderen vom Bridge zurück. Man hatte einen höchst angenehmen Abend verbracht. Wenn die Erzählerin
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