Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
Halbdunkel, einen hässlichen Ausdruck auf dem attraktiven Gesicht. Er war noch immer so wütend, dass er am liebsten etwas zerschmettert hätte. Phyllis’ Vorwurf, er sei langweilig, ging ihm unter die Haut, verletzte ihn, ja mehr noch, kränkte seine männliche Eitelkeit. Wie konnte sie so was sagen? Sie kannten sich schon so lange, hatten tolle Zeiten gehabt (obwohl sie sich da wahrscheinlich schon gelangweilt hatte, während er noch glaubte, sie hätten ihren Spaß). Lauwarmen Schmus hatte sie seine Küsse genannt! Leise fluchend hob er den Hörer ab und verlangte die Nummer, die er zuvor herausgesucht hatte.
    Na, er kannte eine, die ihn nicht langweilig fand, die sich nur zu gern von ihm küssen ließ. Ihr Brief steckte noch in seiner Tasche, er hatte ihn beim Umziehen herausgenommen und in den Smoking gesteckt. Sie war kein verbissenes Luder, sie war sanft und süß und willig. Ja, er würde sich noch heute Abend mit ihr treffen und ihr (und sich selbst) beweisen, dass jetzt gute Zeiten bevorstanden. Mit ihr konnte man was anfangen. Er kippte den doppelten Whiskey hinunter, den er in die Diele mitgenommen hatte. Als eine Stimme aus dem Hörer drang und ihn fragte, wen er sprechen wolle, sagte er:
    »Mrs Wither. Könnte ich bitte die junge Mrs Wither sprechen?«

26. KAPITEL
    Wie es der Zufall wollte, waren Mr und Mrs Wither und Madge an diesem Abend nicht zu Hause. Sie waren von den Parshams, leidenschaftlichen Bridge-Spielern, zum Kartenspiel eingeladen worden, und da Viola nicht spielen konnte, hatte man sie zu Hause gelassen. Viola hatte sich nach dem Abendessen ins Wohnzimmer zurückgezogen und las dort, nicht zum ersten Mal, ein Buch mit dem Titel » The Boy with Wings « , (Der Flieger). Gelegentlich hob sie den Kopf und schaute durch die hohen Fenster zum Himmel hinauf, wo sich die dunkler werdenden Umrisse der Bäume abzeichneten. Das Wohnzimmer lag im Halbdunkel des hereinbrechenden Abends, das Bärenfell vor dem kalten Kamin schimmerte weiß wie ein schneebedecktes Fleckchen. Die einzige Lichtquelle war die Stehlampe neben Violas Sessel, in deren Schein ihre kurzen Locken blass golden leuchteten. Sie schaute immer wieder zu den Fenstern, in der Hoffnung, vielleicht einen Schwan am Himmel vorbeiziehen zu sehen; das taten sie manchmal, im Frühling. Schwäne faszinierten sie seit ihrem Spaziergang in der Marsch im letzten Winter, als ein ganzer Schwarm über ihren Kopf geflogen war. Ihre Gedanken waren bei der Geschichte, die sie las, aber immer wieder auch bei Catty, um die sie sich nach wie vor große Sorgen machte. Sie fragte sich, ob morgen wohl die ersten Antworten auf ihre Briefe eintreffen würden, und versuchte krampfhaft nicht daran zu denken, dass Victor in genau zwei Wochen heiraten würde. In diesem Moment klingelte in der Diele das Telefon.
    Auf The Eagles kam es nur höchst selten vor, dass abends noch jemand anrief, deshalb legte Viola ihr Buch beiseite und schaute zur Tür. Wer das wohl sein mochte? Tina wahrscheinlich. Hoffentlich nichts Schlimmes.
    Kurz darauf streckte Annie verstimmt den Kopf zur Tür herein (sie war ärgerlich, weil sie extra aus dem warmen Dienstbotenwohnzimmer hatte raufkommen müssen, wo sie alle so schön Radio hörten, um abzuheben).
    »Sie werden am Telefon verlangt, Mrs Theodore«, verkündete sie würdevoll.
    »Ach? Vielen Dank. Ist es Mrs Caker?«
    »Nein, M’dam«, sagte Annie mit krampfhaft neutralem Gesichtsausdruck, »es ist ein Gentleman, M’dam.«
    Viola ließ ihr Buch auf den Sessel fallen.
    »Ach! Wer kann das sein …?«
    Selbst als sie den Telefonhörer in die Hand nahm und Annie langsam und widerwillig wieder hinunterging, als sie mit ihrer weichen Altstimme »Hullo?« sagte, hatte sie keine Idee, wer das sein konnte. Sie war seit dem Herbst derart erwachsen geworden, dass sie kaum noch Tagträumen nachhing. Ihr einziger Gedanke war: Gute Güte, wer kann das bloß sein?
    »Viola? Victor Spring am Apparat. Sagen Sie, ich hab Ihr Briefchen bekommen und möchte jetzt mit Ihnen darüber reden. Könnten wir uns im Wäldchen treffen? In zehn Minuten?«
    Der Hörer (es war einer von der altmodischen Art) drohte ihr aus der Hand zu rutschen, es sah aus, als würde auch er fast ohnmächtig werden. Stammelnd stieß sie hervor:
    »Äh … ja, gut, ja. Aber wo genau? Wo im Wäldchen?«
    »Unten am Bach, bei der alten Hütte. Bis dann.«
    Und er hängte ein.
    Gute Güte, dachte Viola, die mit zitternden Knien noch immer den Hörer in der Hand hielt. Sie

Weitere Kostenlose Bücher