Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
Vom Netzwerk:
Blicke auf ihn, doch was ihn auch auf den zweiten Blick anziehend machte, war sein Auftreten. Er wusste, was er wollte und dass er es bekommen würde. Seine Gedanken bildeten eine Einheit, praktisch und realistisch, und das verlieh ihm eine Ruhe und Zuversicht, die attraktiv auf andere Menschen wirkte. Kurz, er besaß Charakter. Männer hielten ihn für einen lässigen Burschen, Frauen für fesch und frech. Lässig und frech, keine alltägliche Kombination; kein Wunder also, dass er Tina nicht mehr aus dem Sinn ging.
    Sein gutes Aussehen und das Bewusstsein, dass sein Vater einst ein angesehener, wohlhabender Müller mit eigenem Land und Mühle gewesen war, gab ihm seinen Altersgenossen gegenüber ein Gefühl der Überlegenheit; er verachtete sie, auch wenn er sich gleichzeitig mit ihnen herumtrieb, und das machte den langsamen Verfall seines Vaters und seinen unwürdigen Tod umso unerträglicher. Saxon war nie beliebt gewesen. Als sein Vater Frau und Sohn mit einem Berg Schulden zurückließ, die sie nicht bezahlen konnten, mussten sie in eine armselige Hütte ziehen. Sible Pelden reagierte weniger mit Mitgefühl als mit Neugierde und einem Was hab ich dir gesagt auf diesen Schicksalsschlag. Mrs Caker selbst bejammerte entweder lautstark ihr schweres Los, oder sie machte sich darüber lustig. Sible Pelden gefiel weder das eine noch das andere. Die anständigen Frauen misstrauten ihr, weil sie zu gut aussah, ordinär war, sich Glitzerspangen ins Haar steckte und einen nie vergessen ließ, dass ihr Mann mal jemand gewesen war. Und den Männern missfiel die Art, wie Saxon die Nase hochhielt – selbst wenn er, wie sie zugaben, ansonsten ein ganz tüchtiger, fleißiger Bursche war. Einige meinten, es sei ihm hoch anzurechnen, wie er sich aus »seinem Milieu« befreit und eine anständige Stelle gefunden habe, aber die waren in der Minderheit. Die meisten Einwohner von Sible Pelden waren der Meinung, dass er ein Schwellschädel sei, der schon noch sehen würde, wo das hinführte. Man erwartete allgemein, dass er seine Mutter bald sitzen lassen würde, weil er sich für sie schämte.
    Das waren die Fettärsche, denen Saxon es zeigen wollte, indem er sich immer bessere und bessere Stellen suchte.
    Doch er war ein echter Junge vom Land, so stark geprägt von den paar Quadratmeilen Essex, wo er aufgewachsen war, dass er noch nicht den Drang verspürte, von hier fort und in die weite Welt hinaus zu gehen. Er kannte sie aus den Zeitungen, die er gewissenhaft las, er sah sie in Kinofilmen, aber noch war sie nicht real für ihn. Die wirkliche Welt war hier, in Sible Pelden. Gleichzeitig sagte ihm sein kühler, logischer Verstand, dass er von hier fortmusste, wenn er wirklich weiterkommen wollte, und Arbeit nur dort finden würde, wo es Arbeit gab. Dennoch: ein Teil von ihm war noch jung und unreif, wollte vor den naserümpfenden Nachbarn angeben. Dies, zusammen mit seinem vagen Gefühl, dass Sible Pelden sein Zuhause war, hielt ihn hier fest.
    Dann war da dieser leichtsinnige Zug in ihm: Er nannte es »sich gehen lassen« und machte seinen toten Vater dafür verantwortlich. Dieser Zug verführte ihn manchmal zu törichten Dingen: Dann lächelte er auf der Straße Mädchen an, flirtete mit Miss Tina oder, wie neulich auf dem Hof, mit Mrs Theodore.
    Peng! an seine Tür.
    »Saxon! Dein Tee.«
    »Danke, Mutter.«
    Er stieg aus dem Bett und holte sich seinen Tee herein; seine Mutter war schon wieder auf dem Weg nach unten. Aha, nichts verschüttet. War sie also endlich zur Vernunft gekommen? Er selbst war richtig pingelig, was Ordnung und Sauberkeit betraf, und hatte sich mal darüber beschwert, dass sein Tee immer verschüttet war, wenn sie ihn raufbrachte. Seitdem, und das war Wochen her, schwamm seine Untertasse regelrecht in Tee, wenn sie ihn morgens vor seiner Tür abstellte.
    Jetzt war sie also endlich zur Vernunft gekommen; dann konnte er ihr die Half-Crown, die er vom Haushaltsgeld einbehalten hatte, ja wiedergeben.
    Sie mag mich nicht sonderlich, dachte er, während er seinen Schlafanzug auszog und zum Auslüften aufs Bett legte. Cis war ihr lieber gewesen.
    Cis war gestorben, im dritten schrecklichen Winter in der zugigen Hütte. Sie war gestorben, weil sie nicht genug zu essen und zum Heizen gehabt hatten; und weil Mrs Caker auf ihre humorvoll-grummelnde Art den wohlhabenderen Nachbarn nicht klar genug gemacht hatte, wie krank Cis wirklich war. Cis selbst war auch ein Spaßvogel gewesen; wenige Stunden vor ihrem Tod hatte

Weitere Kostenlose Bücher