Der Sommernachtsball
einfach keine richtigen Männer, und ihr gesunder Menschenverstand war, ebenso wie all ihre anderen Sinne, still und heimlich am Verkümmern. Wie soll der bei alldem auch die Oberhand behalten, dachte sie verbittert.
Natürlich gab es Männer, doch die waren in Tinas Augen vollkommen nutzlos. Colonel Phillips war sechzig und bis über beide Ohren verheiratet, Sir Henry Maxwell war gut fünfzig und wurde von seiner Mutter gemanagt, und die drei oder vier jungen Männer, die studiert hatten oder noch studierten und in ihren lauten Sportwägen an The Eagles vorbeisausten, würden wohl kaum mal kurz anhalten, um Tina um ihre Hand zu bitten. Nicht nur, dass sie bereits zu alt dafür war, sie war nie der Typ gewesen, in den sich die Burschen verliebten.
Dann gab es natürlich noch Victor Spring, und der war allerdings noch zu haben. Zu sehr, wie Tina fand. Es war erschreckend klar, dass der erste Gedanke, der jeder jungen Frau beim Anblick von Victor Spring durch den Kopf ging, dem Text eines alten Liedchens entsprach:
Oh, what a prize you are,
Oh, if I only had you!
Allein das genügte, um jede vernünftige Frau abzuschrecken, als wäre Victor Spring leprös. Allerdings bekam man selten Gelegenheit abgeschreckt zu sein, denn er ließ sich kaum blicken. Die Frauen, mit denen er sich zeigte, importierte er aus London, Frauen wie Phyllis Barlow oder andere Schönheiten. Wie Starlets, wie Sternschnuppen saßen sie an seiner Seite, wenn er in seinem Luxusschlitten durch die ordinären Straßen der Ortschaft brauste. Die meisten Bewohner von Sible Pelden hatten das vage Gefühl, dass er ihren Ort wie ein Hotel benutzte: Übernachtung mit Frühstück und dann den ganzen Tag irgendwo anders unterwegs, um irgendwelche aufregenden Dinge zu tun, von denen man in Sible Pelden nur träumen konnte.
Und Victor Spring selbst? Der saß an diesem Morgen um Viertel vor acht mit einer dampfend heißen Tasse Tee in seinem Bett und überlegte, sich noch seltener in Sible Pelden blicken zu lassen als bislang schon. Er hatte ein Zimmer in London, wo er schlafen und sich umziehen konnte, wenn er, was häufig der Fall war, mal eine Nacht in der Stadt verbringen wollte. Jetzt überlegte er, dass es eigentlich nicht schlecht wäre, wenn er eine richtige Wohnung besäße. Grassmere begann ihn allmählich ein wenig zu ermüden. Die alte Bude war in Ordnung, das schon, vor allem im Sommer, wenn man den Fluss hatte und Tennis spielen konnte. Aber es war von dort ein weiter Weg nach London. Er fühlte sich eingeengt, gefesselt. Seine Mutter fragte ihn nie, was er machte, außer natürlich, wenn sie Gäste hatten. An ihr lag es nicht. Vielmehr störte ihn der Gedanke, dass er auf dem Lande lebte. Seit dreißig Jahren lebten sie nun schon auf Grassmere; es wurde Zeit für einen Tapetenwechsel.
Eine von diesen neuen Wohnungen am Buckingham Square, dort wo früher Buckingham House gestanden hatte, das wäre doch was. Die Apartmentblocks waren zwar noch im Bau, aber trotzdem schon zu drei Vierteln verkauft. Sündteuer, aber das machte nichts. Er musste das Geld, das er mit seinen vielen Unternehmungen verdiente, ja irgendwie anlegen. Außerdem brauchte ein Mann einen Ort, wo er Leute einladen konnte. Die Leute wollten unterhalten und geblendet werden.
Grassmere, so Victors vage Überlegung, war zwar groß und komfortabel, wirkte auf den Geldadel aber nicht sonderlich beeindruckend. Eine Familie kann nicht dreißig Jahre lang in einem Haus wohnen, selbst wenn dieses Haus luxuriös ist und perfekt instand gehalten wird, ohne dass es irgendwann den Anschein solider häuslicher Gediegenheit verströmt, was den Geldadel, wie erwähnt, nicht sonderlich beeindruckt.
Was den Geldadel beeindruckte, war etwas Neues, atemberaubend Teures und ein ganz klein wenig Unvernünftiges; nicht prekär genug, um abschreckend zu wirken, aber doch so teuer, dass der Geldadel das Gefühl hatte, es könne nur mithilfe dunkler Geschäfte finanziert worden sein, von denen man, falls irgend möglich, auch etwas abhaben wollte. Der Geldadel bevorzugte eine Mischung aus Bar und Luxusliner, und so etwas überlegte Victor sich nun anzuschaffen.
Die traurige Wahrheit ist aber, dass unser junger Gott im Grunde einen eher schlichten Geschmack besaß. Die Tatsache, dass er erst jetzt, mit neunundzwanzig und nachdem sein Vermögen fünf Jahre lang kontinuierlich gewachsen war, auf den Gedanken kam, sich in chromblitzender Eleganz in London niederzulassen, verrät schon, wie wohl er
Weitere Kostenlose Bücher