Der Sommernachtsball
anderes. Phyl war unermüdlich, sie hätte ebenso gut aus Stahl sein können. So sollte eine Frau nicht sein. Das war unweib… Unsinn. Er hörte sich ja schon an wie der alte Phillips. Aber einem Mann gefällt es nun mal nicht, wenn die Frau – na ja, manche stört es wohl nicht, aber mich schon. Aus mir wird sie kein Schoßhündchen machen, wenn wir erst mal verheiratet sind, so viel steht fest. Und je eher sie das kapiert, desto besser.
Wir sollten es noch heuer festmachen, noch in diesem Sommer. Im Herbst beginnt die heiße Phase in der Bracing-Bay-Sache, da kann ich mich nicht drum kümmern und auch noch heiraten. Am besten verloben wir uns im Juli und heiraten Anfang September.
Mein Gott, auch noch dieser ganze Zirkus, schoss es ihm durch den Sinn. Dass auch eine bescheidenere Hochzeit möglich wäre, ohne »den ganzen Zirkus«, der Gedanke kam ihm nicht. Seine Freunde hatten auch alle gestöhnt und dann doch rauschende, ausgelassene, sündteure, ja geradezu barbarische Hochzeitsgelage gefeiert. Nur das war eine anständige Hochzeit. Außerdem käme für Phyl ohnehin nichts anderes infrage.
In Victors Umfeld redete keiner von »Liebe«. Man war in jemanden verschossen, man war verrückt nach ihm oder ihr, oder man war »schwer angeschlagen«. All das empfand er wohl für Phyl, dachte er vage. Wenn er mit ihr zusammen war, empfand er vor allem die vertraute Mischung aus Irritation, Bewunderung und Entschlossenheit, sich nicht von ihr unterkriegen zu lassen, genau dasselbe also, das er schon empfunden hatte, als er sie mit sechzehn kennenlernte und sie eine elegante kleine, rassige Elfjährige gewesen war.
Wenn wir erst mal verheiratet sind, wird sich das alles schon einrenken.
Er schlüpfte langsam in sein Jackett.
Alles, was ich weiß, ist, dass ich diese Sache mit Phyl lange genug aufgeschoben habe; das passt nicht zu mir. Ich denke, ich werde das in die Hand nehmen, wenn sie zum Haubitzen-Ball herkommt (das war der Spitzname, den die Landjugend dem alljährlich stattfindenden Hospiz-Ball gab).
Pfeifend ging er nach unten.
Sie ging ihm unter die Haut, er verglich sie mit Stahl und schwor, sich nicht zum Schoßhündchen machen zu lassen. Bewundernswerter Antagonismus! Genau was der verblichene D. H. Lawrence, von dem Victor noch nie gehört hatte, verlangt hätte.
Eine halbe Meile weit entfernt, auf der anderen Talseite, lag Tina, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, im Bett und starrte mit ihren großen, traurigen braunen Augen aus dem offenen Fenster. Im Bett sah sie hübscher aus als in der Tageskleidung, weil ihre Nachthemden verspielter waren als das, was sie sich tagsüber erlaubte. Sie waren alle weiß mit schmalen roten oder grünen Bändchen. Niemanden kümmerte es, wie sie im Bett aussah, also zog Tina an, was ihr gefiel.
Stille, traurige Gedanken, wie sie nach ihrer Ansicht alte Leute haben mussten, stiegen nutzlos in ihr auf. Vertraute Gedanken, deren Pfade so ausgetreten waren, dass Wut und Langeweile sie untrennbar begleiteten. Seit wie vielen Jahren schon lag sie morgens im Bett, während auf ihrem hübschen, schwarz lackierten Nachtkästchen der Tee abkühlte, und starrte aus dem Fenster, dessen Vorhänge vom Dienstmädchen aufgezogen worden waren, zum wechselvollen Himmel hinauf! Vor zehn Jahren war es noch schmerzvoll gewesen, mit wild klopfendem Herzen hatte sie auf Briefe gewartet, und wenn sie kamen, hatte sie in ihre freundlichen Zeilen eine Bedeutung hineingelesen, die, wie ihr gnadenlos vernünftiger Verstand sagte, nicht da war, die sie aber trotzdem dort suchte, weil sie sich so verzweifelt danach sehnte, etwas zu fühlen!
Andere Frauen – o wie ausgetreten dieser Pfad war! – andere Frauen liebten ihre Familie oder hatten ihre Arbeit. Ich habe ja versucht, mir einen Beruf zu suchen, aber kein Beruf hat mich gewollt. Und ich sehe nicht ein (noch so ein fürchterlich ausgetretener Pfad), warum man seine Familie lieben sollte, bloß weil es die Familie ist.
Wir haben einfach keine engen Beziehungen in unserer Familie, das ist nun mal so. Vielleicht liegt es daran, dass sich Mutter und Vater nie richtig geliebt haben; jedenfalls scheinen wir uns gegenseitig kaum zu lieben; ich wünschte, es wäre anders.
Und so wie wir sind, wirken wir eher abschreckend als anziehend auf andere.
Eine kleine Weile hielten sich ihre Gedanken bei den Männern auf, an deren Gesichter sie sich kaum noch erinnerte, Männer, die sie auf der Kunstschule gekannt und die ihr gesagt hatten, wie
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