Der Sommernachtsball
denken. Irgendwann, während der Fahrstunde, war ihm klar geworden, dass es Miss Tina um IHN ging, nicht ums Autofahren, und er hatte den Schein fahren lassen, den er sicherheitshalber gewahrt hatte. Nein, sie interessierte sich für ihn, da war er sicher. Er grinste und brach in eine Folge von Pfeiftönen aus, die den Vögeln Konkurrenz machte. Mit energischen, weit ausholenden Schritten stapfte er den Hügel hinauf. Ein Punkt für mich, dachte er stolz. Er war nicht deshalb geschmeichelt, weil sich Tina als Frau für ihn interessierte (Frauen interessierten sich immer für ihn, das war er gewohnt), sondern weil sie eine Lady war, Tochter eines wohlhabenden Vaters. Eine Dame aus dem Landadel, nicht so vornehm wie die Dovewoods und nicht so elegant wie die Springs, aber doch eine Dame. Eine gebildete Frau, die nicht zu arbeiten brauchte und sicher hübsch was erben würde, wenn der Alte mal den Löffel abgab.
Vielleicht sollte ich doch noch ein bisschen bleiben, dachte er und betrat grinsend das Wirtshaus. Man weiß ja nie, vielleicht winkt mir ja hier das Glück.
Wie dieses Glück aussehen konnte, wusste er nicht, aber Miss Tinas Interesse schmeichelte seiner männlichen Eitelkeit gewaltig. Er fühlte sich wie ein junger Hahn, der aufgeplustert und mit keck aufgerichtetem rotem Kamm in der ersten Morgensonne seinen Stolz herauskräht.
»Na dann …«, sagte Saxon und hob sein Glas. Er nahm den Ellbogen ein wenig hoch, um einer Pfütze auf dem Tresen auszuweichen, und nickte dem Barmann zu.
Der Barmann, ein ausgesprochener Realist, nickte ebenfalls.
Auf dem Rückweg ging Saxon noch rasch zu Hause vorbei, denn er hatte seiner Mutter etwas zu sagen. Diese neue Sache mit Miss Tina – er hatte das Gefühl, jetzt musste er ihren Umgang mit dem alten Falger unterbinden (den Saxon unter gar keinen Umständen »Einsiedler« nennen wollte). Was nutzte es, wenn er, Saxon, von vornehmen Herrschaften Aufmerksamkeit erhielt, solange seine Mutter mit diesem dreckigen alten Bastard verkehrte? Ständig hing er bei ihnen zu Hause herum. Er hatte ihr schon oft gesagt, dass ihm das nicht passte, aber diesmal war es ernst. Diesmal würde er dem ein Ende setzen.
»Mum«, sagte er, als er die Hütte und damit gleich das Wohnzimmer betrat, wo sie auf dem Sofa lümmelte und mit aufgestützten Ellbogen Tee schlürfte und Zeitung las. Er kam sofort zur Sache. »Ich möchte den alten Falger hier nicht mehr sehen, hast du verstanden? Nie wieder.«
Mrs Caker blickte überrascht auf. Das schalkhafte Funkeln war ihr für den Moment vergangen.
»Meine Güte! Was iss dir denn über die Leber gelaufen? Und was fällt dir ein, willst mir vorschreiben, was ich tun soll, hier in meinen eigenen vier Wänden? Kümmer du dich mal um dich selber, und lass mich zufrieden, was geht’s dich an?«
»Das geht mich sehr wohl was an. Es ist eine Schande, eine richtige Schande. Einen Bettler und Rumtreiber ins Haus zu lassen. Damit ist jetzt Schluss. Das nächste Mal, wenn er sich hier blicken lässt, kriegt er von mir einen Tritt in den Hintern!«
»Kannste ja versuchen«, höhnte sie und lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück, sodass sich ihr alter Pulli über ihrem großen Busen spannte. »Der ist dir gewachsen, Jüngelchen, auch wenn er dein Großvater sein könnte!«
»Du hast gehört, was ich sage. Es ist mir ernst. Ich will den Kerl nicht mehr sehen. Du solltest dich schämen.«
Sie musterte ihn neugierig. »Was regste dich so auf? Was hat Falger zu dir gesagt? Hab ihn heut noch gar nich gesehen, stimmt. Was soll’s schaden, wenn ich ihn reinlasse? Dann hab ich wenigstens jemanden zum Reden. Ich bin hier ja ganz allein, tagein, tagaus, hab niemanden zum Reden oder für ’n bisschen Spaß.«
»Es ist mehr als das«, sagte Saxon, rot im Gesicht. Er war schon wieder halb draußen. Voller Verachtung schaute er zu ihr zurück.
Mrs Caker prustete los.
»Ah, warte mal, biste groß bist! Du weißt noch gar nichts, Kleiner. Dann spuckste andre Töne.«
»Ach, halt die Klappe«, brummte er, und sein Dialekt trat in seinem Zorn und in seiner Verlegenheit stärker hervor. »Du weißt Bescheid. Wenn er sich hier noch mal blicken lässt, kriegt er’s mit mir zu tun, das kannst du ihm gern sagen.«
Er stakste davon. Unter den Bäumen nahm er seine Mütze ab, um frische Luft an seine Stirn zu lassen. Seine Mutter rief zornig hinter ihm her, die Augen mit einer roten, rissigen Hand vor der Sonne abschirmend:
»Geh zum Teufel! Ich
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