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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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passierte beim Anhalten. Ich vergaß die Kupplung und trat nur auf die Bremse. Der Pick-up bockte, soff ab, und wir flogen mit voller Wucht vornüber. Mein Mund knallte gegen das Lenkrad.
    »Scheiße, Mitch.«
    »Tut mir leid.«
    Ich fuhr den Rest des Nachmittags unter Jerrys Aufsicht. Beim dritten Mal brauchte er mir keine Anweisungen mehr zu geben. Ich hatte mittlerweile den Dreh raus, die Kupplung loszulassen und Gas zu geben, und sanft bremsen konnte ich auch. Es gab kein Anzeichen dafür, dass Dad irgendwas davon mitbekam – oder es war ihm egal, wie Jerry vorhergesagt hatte.
    Jerry und ich lachten und plauderten, während ich den Ford zur Bohrstelle vom letzten Loch des Tages bugsierte, und angesichts meiner aufkeimenden Fahrkunst war ich übermütig geworden.
    Als Jerry »Scheiße« sagte, blickte ich auf und sah Dad, der uns mit wedelnden Armen entgegenrannte. Ich trat mit Karacho auf die Bremse – die Kupplung vergaß ich doch wieder –, als Dad die Fahrertür erreichte.
    Knallrot im Gesicht riss er die Tür auf, dann packte er mich vorn am Hemd, zerrte mich heraus und warf mich in den Dreck.
    »Siehst du die verfluchte Kiste?«, brüllte er. »Hast du sie gesehen?«
    Direkt vor meiner Nase stand eine volle Kiste mit Sprengstoff, die Toby auf dem Boden abgesetzt hatte. Knapp anderthalb Meter weiter, und ich hätte sie überfahren.
    »O Scheiße«, sagte Jerry. Er stand jetzt über mir und wusste, wie viel Glück wir gehabt hatten. Die Erleichterung währte allerdings nicht lange, denn im nächsten Moment machte uns Dad zur Schnecke.
    »Was hat er da gemacht?«, donnerte Dad, sein Gesicht ganz nah an Jerrys, die Fäuste geballt.
    »Ich hab ihm das Fahren beigebracht. Es ist einfach so passiert.«
    »Nein, du Arsch!«, sagte Dad. »Passiert ist nichts. Aber das ist nicht euer Verdienst!«
    Ich brach in Tränen aus. Dad fiel wieder über mich her: »Halts Maul! Zum Teufel, heul bloß nicht, Mitch. Lass das! Du wirst ein Mann und wirst auch einen Truck fahren. Also heul nicht so rum, verdammt noch mal!«
    Ich konnte nicht aufhören. Die Tränen flossen heftiger, schneller, hinterließen Spuren in meinem vom Sturz dreckverschmierten Gesicht.
    Dad stand drohend über mir, packte mich am Hemd und zog mich auf die Füße, dann wirbelte er mich herum und versetzte mir einen heftigen Tritt in den Arsch, dass ich erneut zu Boden ging.
    »Heulen gibts nicht! Wenn du das unbedingt willst, du verdammtes großes Baby, dann mach das gefälligst woanders.«
    Ich rannte um den Wasserwagen herum, außer Hörund Sichtweite. Nach wenigen Minuten, in denen ich Schiss hatte, dass Dad mir folgen und mich aufs Neue anbrüllen könnte, hörte ich den Mast hochund den ersten Abschnitt des Rohrs runtergehen. Das Wummern der Maschinen übertönte alles andere, und ich wimmerte einsam und verlassen vor mich hin.
    Die Arbeit ging schnell voran. Dad, Jerry und Toby hatten an dem Tag vierzehn Löcher geschafft, so viel wie noch nie in dem Sommer. Zur Feier des Tages fuhren wir schweigend in die Stadt zurück.

MILFORD | ENDE JUNI 1979
    Ich hatte Schiss, dass Dads Wut noch in die späten Nachmittagsstunden überschwappen könnte, aber ich hatte wohl Glück. Herbere Enttäuschungen erwarteten uns.
    Wir setzten Jerry und Toby vor ihrem Quartier im Westen der Stadt ab, dann fuhren wir zum Wohnmobilplatz hinauf. Maries Skylark, den wir schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen hatten, stand vorn. Dad seufzte.
    »Okay«, sagte er.
    Marie kam herausgerannt und warf sich Dad an den Hals. Er ließ sich gerade noch einen Kuss gefallen, dann spurtete er zur Tür. Nach einem langen Arbeitstag hätte selbst ein ganzes Heer ihm den Weg zu seinem Bad nicht versperren können – irgendwie wäre er durchgekommen. Eine Frau war kein Hindernis.
    Ich folgte ihm dicht auf den Fersen, während er die Treppe des Wohnmobils hinaufstürmte. Der Essbereich und mein Schlafsofa waren voller Einkaufstüten von anscheinend sämtlichen Läden in Salt Lake City.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Nur ein paar Sachen, die ich brauchte«, sagte Marie.
    »Was du brauchst und was wir uns leisten können, sind zwei paar Schuhe.«
    »Echt? Du hast mich zwei Tage nicht gesehen, und du fängst schon wieder so an?«
    Dad ließ die Schultern sinken.
    »Ich gehe jetzt baden. Leg die Quittungen auf den Tisch.«
    Komisch, welche Erinnerungen die Jahre überdauern und welche nicht. Ich kann mich genau an den Stadtplan von Milford erinnern, und wenn man mich da heute an

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