Der Sommersohn: Roman
vor allem kein Geld. Ist ein ungünstiger Moment.«
»Okay.«
»Ich glaube, wir müssen Verständnis für ihn haben.«
»Okay.«
»Okay, mein Junge. Viel Spaß.«
Ich hängte ein.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Jerry.
»Dass ich Dad nicht mit Geld nerven soll.«
»So eine Unverschämtheit!
Du
sollst Dad nicht wegen Geld nerven. Ganz schön dreist.«
Jerry schüttelte den Kopf. Ich ging an meinen Platz auf dem Fußboden zurück.
BILLINGS | 18. SEPTEMBER 2007
Ich wachte kurz nach fünf Uhr morgens auf, und so sehr ich mich auch bemühte, wieder einzuschlafen, es gelang mir einfach nicht. Nach einer halben Stunde vergeblichen Kampfes warf ich schließlich die Decken ab und begrüßte widerwillig den Tag.
Im Flur trat ich ganz nah an Dads Tür. Er schnarchte wie eine Basstrommel. In den Sommern, die ich mit ihm zusammen verbrachte, besonders wenn wir uns ein Motelzimmer oder das kleine Wohnmobil teilten, musste ich mich seinen nächtlichen Schnaufern anpassen. Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, und seine Kakofonie aus Husten mutierte zu weißem Rauschen.
Ich konnte nichts Vernünftiges zum Frühstück auftreiben, nur einen harten Brotkanten und Cornflakes, die mehr als einen Monat über das Verfallsdatum hinaus waren. Ein Blick aus dem Fenster zeigte einen noch in Dunkelheit getauchten Morgen.
Ich entschloss mich zu einem Spaziergang.
Wenige Blocks von Dads Mobilheim stand ich auf dem leeren Parkplatz vom Elks Club und sah die Sonne aufgehen. Hier, an der Nahtstelle zwischen Sommer und Herbst, konnte ich leicht nachvollziehen, was Billings und Montana so anziehend machte – der kühle Morgen, die frühe Sonne, die langsam das Dunkel fand und zerstreute. In San José herrschten fast das ganze Jahr angenehme Verlässlichkeit, Wärme und klare Himmel. In Montana konnteman nie ganz sicher sein, was man bekommen würde. Vor langer Zeit hatte ich in diesem Teil der Welt sogar Schnee im Juni erlebt. Was für ein Anblick!
Die Stadt atmete wieder nach ihrem Schlummer, und hinter mir auf der Lewis Avenue hörte ich einen anschwellenden Verkehrsfluss. Ich erwog, Cindy anzurufen und ihr zu sagen, dass sie und die Kinder mir fehlten, aber mitten im Wählen der Nummer fing ich mich. Zu Hause war es fünf Uhr morgens. Zu dieser frühen Stunde würde sie sich gewiss nicht über meine halbgaren Gedanken über Zeit, Ort und Wetter freuen.
Ich eilte weiter.
Ich beschrieb einen großen Bogen durch das Herz von Billings, in die Wohnviertel, die sich wie ein Puffer um die Innenstadt ziehen, über die Grand Avenue zur Billings Senior High und weiter zum Pioneer Park. Ich ging ein paar Häuserblocks nach Westen und geriet beim Bergaufgehen aus der Puste. Ich kam an Joggern und Müttern mit Kindersportwagen vorbei und grüßte sie alle mit einem herzlichen »Guten Morgen«. Ich fühlte mich beschwingt, weil ich draußen war, die frische Luft einatmete, und ich nahm mir vor, mich öfter dazu aufzuraffen, sobald ich wieder zu Hause wäre. In San José, wenn sich auf Arbeit und Familienzeit noch weitere Verpflichtungen häuften, fiel es mir nur allzu zu leicht, das Training zu vernachlässigen. Mein Bauchansatz und die Mühe, die mich die geringen Steigungen in Billings kostete, waren die Quittung für diese Trägheit.
Oben auf der Grand Avenue holte ich bei Albertson’s ein halbes Dutzend Donuts und zwei Becher Kaffee, und ich hoffte, dass Dad bei meiner Rückkehr wach sein würde und Lust hätte, mit mir zu frühstücken.
Ich fand ihn in seinem Fernsehsessel. Er trug einen blauen Frotteebademantel, der schon bessere Tage gesehen hatte, und schaute sich die lokalen Morgennachrichten an.
»Hey, Pop. Hab dir Frühstück mitgebracht.«
Dad brummte anerkennend und sagte: »Ich dachte schon, du hättest genug gehabt und wärst nach Hause gefahren, aber dann habe ich deinen Wagen hier noch stehen sehen.«
»Möchtest du das? Soll ich verschwinden?«
»Mach doch, was du willst. Dies hier ist ein freies Land.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wie du meinst. Ich frühstücke jetzt. Iss auch was, wenn du willst. Oder lass es. Mir doch scheißegal, aber so was von.«
Er kam zu mir ins Esszimmer und stibitzte einen gefüllten Donut und einen Becher Kaffee. Ich schüttete Zucker und Sahne – von beidem reichlich – in meinen.
»Warum trinkst du ihn nicht wie ein Mann?«
Wut stieg in mir auf, doch ich schluckte sie hinunter.
»Etwa so?«, fragte ich. Ich griff nach dem Kaffeebecher, fuhr die Ellbogen aus und spannte den
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