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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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auch nicht mein Vater.«
    »Manchmal wünschte ich, er wäre auch nicht meiner.«
    Meine Frau seufzte.
    »Ich weiß. Dieses Kreuz musst du tragen. Augen zu und durch!«

MILFORD | 27. JUNI 1979
    Am Morgen nach Dads Streit mit Marie fiel unser Trupp wieder ins alte Muster zurück. Dad wartete auf Jerry, Toby und mich vor dem Diner. Er starrte auf seine Uhr, weil wir zu spät kamen. Wir frühstückten Eier mit Speck, und das größtenteils schweigend.
    »Mitch«, sagte er, »ich will nicht, dass du einfach so wegläufst.«
    »Ich will nichts an den Kopf geworfen kriegen«, sagte ich düster.
    Mit gesenktem Kopf stocherte Dad in seinem Frühstück herum.
    »Ich bin für dich verantwortlich.«
    Jerry knallte eine leere Kaffeetasse auf den Tisch. Ich zuckte zusammen, als es plötzlich totenstill im Raum wurde. Alle Blicke waren auf uns gerichtet.
    »Warum hast du ihn dann nicht abgeholt?«, fragte Jerry. »Scheiße, selbst Marie wusste, wo er zu finden war.«
    Dad sprach leise. »Wir reden später darüber.«
    »So ein Scheiß«, sagte Jerry.
    Kein Wort fiel zwischen uns, als wir aufs Feld hinausfuhren. Zum ersten Mal schlief ich nicht, und das war auch gut so. Die Spannung, die von den Männern ausging, zwischen denen ich saß, machte klar, dass mein Kopf weder an der einen noch an der anderen Schulter Zuflucht finden würde.
    Bei der Arbeit dann entlud sich der unausgesprochene Groll zwischen Dad und Jerry in Anfällen von Sturheit. Wenn Dad Jerry mit etwas beauftragte, machte mein Bruder, solange es nicht grundlegend den Betrieb des Ölturms störte, einfach etwas anderes. Das waren kleine Rebellionen – er schaufelte, wenn Dad Matsch verlangte, ging zum Pick-up und holte sich aus dem Kühlschrank eine Limo, wenn Dad eine Rohrzange brauchte. Da es sich dabei um Bagatellen handelte, brachten sie den Alten umso mehr in Rage, obwohl er tapfer (aber vergeblich) versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Mein Bruder, in vielerlei Hinsicht meinem Vater so ähnlich, wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste.
    »Man hält es in ihrer Nähe nicht aus«, meinte Toby zu mir während der Mittagspause. Dad nahm seinen Lunchbeutel und setzte sich ins Führerhaus des Sattelschleppers, und Jerry ließ sich am Rand der Grube nieder. Toby und ich saßen auf der Heckklappe des Pick-ups. An den meisten Tagen fanden wir vier uns da ein, rissen Witze und genossen die Pause.
    »Ich wünschte, ich hätte mein Motorrad hier«, sagte ich. »Dann könnte ich einfach losbrettern.«
    »Ich fürchte, er schmeißt Jerry raus«, sagte Toby. »Gott, er ist wirklich stinksauer, Mann.«
    Das kümmerte mich nicht weiter. Ich fürchtete vielmehr, dass Dad einen Vorwand finden würde, um auf Toby loszugehen. Schwäche oder Dummheit – und Toby schien beides manchmal in hohen Dosen aufzuweisen – wirkten auf Dad wie Köder. Streit mit jemandem, der so stark war wie Jerry, war wenig wahrscheinlich.
    Vor zwei Jahren hatte ich mit angesehen, wie Dads Beuteschema funktionierte. Eine Woche Arbeitspause drohte, und Dad brannte vor Ungeduld, auf die Ranch zurückzukehren. Die Sache war die, dass Dad nicht so war wie die meisten Leute. Die meisten Leute in einem Bohrtrupp werden lockerer, wenn der Urlaub kurz bevorsteht, die Vorfreude gibt ihnen Auftrieb. Dads Stimmung aber verdüsterte sich und wurde zusehends unberechenbarer, sobald wir uns der Schließung näherten, aus mir unerfind lichen Gründen. Hasste er es, mit der Arbeit aufzuhören? Hatte er solchesHeimweh? Brannte er darauf, Marie wiederzusehen? Hatte er Angst davor? Ich konnte es nicht erraten.
    Beim Frühstück zwei Tage vor dem Arbeitsende unterband Dad jedes Gespräch. Einer von Dads Handlangern, Al Moak, schüttelte einmal den Kopf, als wieder mal ein Versuch zum morgendlichen Plaudern abgewürgt worden war.
    »Hast du was zu sagen, Al?«
    »Offenbar nicht.«
    »Sag es.«
    Von allen Männern, die für Dad in den Sommern arbeiteten, als ich bei ihm war – lauter Gesichter und Namen, die mir wegen naheliegenderer Sorgen entfallen sind –, war Al Moak der netteste. Zu nett, würde ich sagen, zumindest für Dads Crew. Stets hatte er ein freundliches Wort und ein Lächeln übrig, fragte immer, wie es mir ging, anscheinend nie zu kaputt, mir mein Motorrad aufzutanken. Er war der Typ, den man sich als Freund wünscht. Seine Art aber machte ihn angreifbar für Dad, der Schwäche verabscheute und diese von Liebenswürdigkeit nicht unterscheiden konnte.
    »Sag es, Al.«
    Al ließ sich

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