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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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nach Montana zurückwollte, um sich einem Bohrtrupp anzuschließen. Mom brach ihr Studium ab und ging mit ihm. Um die Einwände ihrer Eltern scherte sie sich nicht.
    Ich wünschte, ich hätte diese Menschen so gekannt, wie sie damals waren – was sie bewegte, ihre Träume, ihre intimsten Gedanken. Meine Großeltern sind tot, und selten haben sie mir von Mom und Dad erzählt. Mom ist auch nicht mehr da, und sie gab sich äußerst wortkarg, wenn das Gespräch auf ihr gemeinsames Leben mit Dad kam. Sie sagte mir dann immer, ich sollte nach vorn, nicht zurückschauen. Aber solch ein Rat frustrierte mich. Alles, was ich wissen wollte, lag hinter mir. Eher hätte ichmir mein Herz herausschneiden können, als einfach so darüber hinwegzugehen.
    Ich kannte nur die groben Umrisse von Moms und Dads gemeinsamem Leben: Sie trafen sich, brannten zusammen durch, heirateten, bekamen Jerry, dann mich, trennten sich, als ich drei war. Im Grunde ließ sich die Geschichte unseres Lebens als Kernfamilie nicht rekonstruieren. Zu viele Menschen hatten die Geschichte mit ins Grab genommen, und Dad gab sie nicht preis.
    Meine Träume von Mom und Dad in ihrer Jugend, die ich heraufbeschwor – Bilder aus meiner Fantasie und meinen spärlichen Erinnerungen an damals –, hatten immer eine gewisse Düsterkeit, eine bedrohliche Präsenz, die ich nicht festmachen konnte.
    Meine Augen flogen auf, und ich hielt den Atem an.
    Das Haus blieb leer, bis auf mich und mein flüchtiges Verständnis von dem, was mir durch den Sinn gegangen war.
    Als Dad zurückkehrte, versuchte ich, den Streit beizulegen.
    »Hey, Pop.«
    »Hallo, Sportsfreund.«
    »Wo bist du gewesen?«
    »Auf dem Friedhof. Mittwochs bring ich ihr immer Blumen.«
    Ich lächelte. Ich war sprachlos. Diese Zärtlichkeit gegenüber Helen fand ich liebenswert und zugleich auch bestürzend. Es stellte viele meiner Annahmen über diesen Mann infrage, und obwohl ich mich in seinen Verlust einfühlen konnte, dachte ich unwillkürlich, dass uns – dass mir – solch eine Hingabe verwehrt geblieben war.
    »Ich wäre gern mitgegangen.«
    »Ich besuche sie gern allein.«
    »Ach so.«
    Er ließ sich schwer aufs Sofa fallen.
    »Brauchst du irgendwas, Pop? Was zu essen oder zu trinken?«
    »Nein. Lass mich nur eine Weile hier sitzen.«
    Etwa eine Stunde lang sahen wir fern, und Dad amüsierte sich über seine Lieblings-Sitcoms. Dann überraschte er mich.
    »Lass uns ein paar Blumenbeete umgraben.«
    »Jetzt?«
    »Warum nicht jetzt?«
    Draußen stellte ich fest, dass Dad mit gemeinsamer Anstrengung so gut wie nichts im Sinn hatte. Er wollte lediglich meine Arbeitskraft, um die Blumenbeete wieder instand zu setzen, die er in dem einen Jahr über der Pflege seiner Frau hatte verwahrlosen lassen. Er drückte mir einen Spaten in die Hand und zeigte auf die traurigen Hochbeete vor dem Womo.
    »Was hattest du denn hier drin?«, fragte ich mit Blick auf die kümmerlichen Hüllen früheren Pflanzenlebens.
    »Glockenblumen. Im Frühjahr pflanze ich Akeleien.«
    Unter Dads Aufsicht grub ich die Klumpen toter Blumen aus, was noch recht einfach war. Anschließend ließ ich mich auf Hände und Knie nieder, um das wuchernde Unkraut herauszurupfen, was sich dann als viel mühsamer gestaltete. Ich benutzte Muskeln, die während meiner Jahre im Büro brachgelegen hatten und die jetzt über das raue Erwachen jammerten. In der Tageshitze rann mir der Schweiß den Nacken und am Rücken hinunter bis in die Unterhose.
    In dem Versuch, mich aufzulockern, richtete ich mich auf, stützte die Hände in die Hüften und ließ den Rücken kreisen.
    »Es ist schwerer, als ich vermutet habe«, sagte ich.
    »Das hier ist doch gar nichts.«
    »Sagt der Kerl, der auf den Stufen der Veranda sitzt.«
    Dad kam die Treppe herunter, schnappte sich den Spaten aus meinen Händen und machte sich über das Beet auf der anderen Seite her. Kraftvoll und fachmännisch grub er in das Erdreich, riss die Pflanzen aus und schleuderte sie auf den Schotter der Auffahrt. Wofür ich nahezu zwanzig Minuten gebraucht hatte, erledigte Dad mit wenigen Spatenstichen.
    »Alles klar?«, fragte er und drückte mir den Spaten wieder in die Hand. »Ich schau gewiss nicht einfach nur zu, weil ich dazunicht in der Lage wäre, du Sesselfurzer. Ich gebe dir eine Gelegenheit zu arbeiten, denn das wird dir guttun. Du hast nicht einen Tag in deinem Leben hart gearbeitet.«
    Ich biss mir auf die Lippe. Auf eine neue Runde konnte ich verzichten. Ich machte mich

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