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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Mund. »Mom, wo willst du hin?« Sie ging ein paar Schritte weiter, danndrehte sie sich um und winkte mir, als wollte sie, dass ich zu ihr komme. Es sah so aus, als würde sie irgendetwas sagen, aber ich konnte es nicht hören.
    »Mom!«, schrie ich.
    Sie wandte sich um und ging weiter. Bald war sie ein Punkt in der Ferne.
    Dann sagte Jerry: »Ich bin auch weg.«
    Im Gehen legte er eine Hand auf Dads Schulter, und ich sah fassungs los zu, wie Dads Hemd und Schultermuskel zerbröselten und einen tiefen Krater hinterließen.
    »Wo gehst du hin?«, rief ich Jerry nach. Mein Bruder drehte sich nicht um, er verschwand in den Dunst wie Mom nur Augenblicke vor ihm.
    Marie kam von Weitem auf Dad zu und blieb vor ihm stehen. Sie schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn und durchbohrte ihn mit einem Blick aus ihren braunen Augen.
    »Lebe wohl, Jim«, sagte sie und schlug ihm mit der offenen Hand ins Gesicht, dass das Gesicht zerbarst. Ich schirmte meinen Kopf ab, als Stücke von meinem Vater herabregneten.
    Mein Vater, heil und ganz neben mir noch wenige Augenblicke zuvor, war jetzt ein sandiger Stumpf, nicht größer als dreißig Zentimeter. Und dann war er nicht mal mehr das. Marie kickte weg, was von ihm übrig geblieben war, während sie auf den Horizont zusteuerte wie vor ihr Mom und Jerry.
    Ich wollte schreien, aber aus meiner Lunge kam keine Luft. Ich wollte mich bewegen, aber der Sand verschluckte meine Beine und machte sie nutzlos.
    Tränen strömten mir über das Gesicht, und ich sah voller Angst die hereinbrechende Dunkelheit und wie sich die Wüste der Kälte der Nacht ergab ...
    Das Zuschlagen der Haustür riss mich aus dem Schlaf. Neben mir spürte ich auch LaVerne hochschrecken.
    Ich rieb mir die Augen und versuchte, mich zu orientieren. Das Fernsehsignal, jetzt ein Testbild, brach eine dunstige Spur vonElektronen durch das Dunkel. Mein Herz klopfte vor Erleichterung, dass ich im Ranchhaus war und nicht in einem trockenen Seebett Gott weiß wo steckte.
    Maries Stimme klackte wie eine Schreibmaschine, aber ich konnte die Worte nicht verstehen.
    »Leise!«, sagte Dad.
    LaVerne und ich rappelten uns auf und gingen ins große Wohnzimmer.
    Die Spannung war förmlich mit Händen zu greifen, was LaVerne sofort spürte.
    »Also, ihr seid ja alle gesund und munter, dann wünsche ich mal gute Nacht«, sagte sie und flitzte zur Tür.
    »Danke, LaVerne«, sagte Dad.
    Er wandte sich mir zu. »Es ist ein Uhr morgens. Warum bist du noch auf?«
    »Ich bin vor dem Fernseher eingeschlafen.«
    »Hi, Mitch«, sagte Marie.
    »O nein, nein, nein. Tu jetzt bloß nicht so freundlich«, sagte Dad.
    »Fick dich, Jim. Ich darf doch wohl noch meinen Stiefsohn begrüßen.«
    Dad fuhr herum.
    »Fick mich? Was verstehst du denn schon davon, du Schlampe.«
    Marie rannte quer durchs Zimmer davon. Ich sah es kommen, als würde ich beim Footballspiel auf einem der besten Plätze sitzen. Die ganze widerwärtige Szene spielte sich vor meinen Augen ab.
    Dad drehte sich auf dem Absatz in dieselbe Richtung und setzte ihr nach.
    »Fass mich nicht an, Jim!« An der gegenüberliegenden Wand griff sich Marie ein Figürchen vom Kamin und schleuderte es in Richtung Dad. Es zersplitterte vor meinen Füßen. Ich sah die Scherben über den Holzboden rutschen. Durch das Fenster sah ich LaVernes Pick-up wegfahren.
    Ich schrie: »Aufhören, aufhören, aufhören!«
    Zum ersten Mal in meinem Leben hörten die Erwachsenen auf mich.
    »Ihr seid doof«, sagte ich. Der Tag mit allem Drum und Dran – die lange Fahrt, das Kuschen vor Dads Zurechtweisungen, der Traum – ließ mir die Tränen über das Gesicht laufen. Ich war eher wütend als ängstlich, dabei hatte ich große Angst. Die Trennungszeit hatte nicht geholfen, um das Verhältnis zwischen Dad und Marie zu kitten.
    Marie durchbohrte Dad mit Blicken, dann kam sie quer durch das Zimmer zurück und kniete vor mir nieder. Sie wollte mich umarmen, aber ich stieß sie von mir.
    »Nein.«
    »Mitch, es tut mir leid«, sagte sie.
    »Ist mir schnuppe.«
    Dad kam herüber und legte eine Hand auf Maries Schulter. Sie versteifte sich.
    »Ruhig Blut, Sportsfreund.«
    Meine Brust wogte, ich rang nach Luft. Meine Tränen, die ich verabscheute, ließen sich nicht zurückhalten, so sehr ich mir das auch wünschte.
    »Ich hab die Nase voll«, sagte ich.
    Er streckte die Hand nach mir aus, und ich schlug sie.
    »Lass mich in Ruhe!«
    Sein Ton wurde scharf: »Na, na, Mitch!«
    »Ich hab die Nase voll!«
    Marie packte mich an

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