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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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vorsichtig damit! Ich mag die Dinger nicht.«
    »Ja.«
    Weil sie darauf bestand, trug ich immer einen Helm. Das hat mir ein, zwei Mal die Haut gerettet. Dads Ranch war voller Furchen und Unebenheiten, alle geeignet, mein Bike umstürzen oder mich über den Lenker fliegen zu lassen. Mom brauchte davon nichts zu wissen, wie so viele andere Dinge von meiner Zeit bei Dad.
    »Ich habe gestern von Jerry gehört«, sagte sie.
    »Echt?«
    »Er hat mittags angerufen. Du wirst es nicht glauben, aber er hat sich bei den Marines gemeldet.«
    »Bei den Marines? Echt?« Ich fragte mich, was Dad, der schneidige Navy-Mann, davon halten würde.
    »Genau das hab ich auch gesagt. In Salt Lake hat er sich eingeschrieben, und er ist unten in San Diego für die Grundausbildung.«
    »Warum denn die Marines?«
    »Er hat gesagt, die Arbeit mit Dad hätte ihn abgehärtet, jetzt sei er dafür bereit.«
    »Hat er was erwähnt, warum er gegangen ist?«
    Darauf wusste ich natürlich die Antwort, aber ich wollte testen, wie viel sie wusste. Sie hatte nicht Zeter und Mordio geschrien und verlangt, dass Dad mich schnurstracks nach Hause schickte – ein gutes Zeichen dafür, dass sie von dem Vorfall in Milford nichts ahnte.
    »Er hat nur gesagt, es sei an der Zeit, ernsthaft mit etwas anzufangen. Er meinte, dass das Bohren bei Dad kein guter Beruf sei. Da ich so ein Leben kennengelernt habe, bin ich mit ihm einig.«
    »Anscheinend bist du froh.«
    »Natürlich werde ich mir Sorgen um Jerry machen. Ja, doch.Aber ich glaube, er hat eine gute Entscheidung getroffen. Er ist klug. Er packt das schon.«
    »Okay.«
    »Was macht denn Dad?«
    »Er wollte Marie abholen.«
    »Wo?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Bist du allein?«
    »LaVerne ist hier.«
    »Wer ist LaVerne?«
    »Eine Nachbarin. Möchtest du mit ihr sprechen?«
    Ich schaute rüber zu LaVerne; sie zog ihre Augenbrauen hoch.
    »Nein, schon okay ... Mitch, noch eins. Dein Baseballteam hat die letzten beiden Spiele gewonnen. Ich war da beim letzten. Sie haben Pokale verliehen. Deiner wartet hier auf dich.«
    »Prima! Hast du sie zu den anderen in mein Zimmer gestellt?«
    »Klar. Dein Trainer hat gesagt, sie mochten dich gern im Team, und ich soll dich grüßen.«
    »Danke, Mom.«
    »Aber gern, Schatz. Sei brav. Ruf mich nächste Woche an, okay? Ich hab dich lieb.«
    »Tschüss, Mom. Ich hab dich auch lieb.«
    Moms lässige Haltung zu Jerrys Entschluss, zu den Marines zu gehen, verwirrte mich. Einerseits war ich froh, dass es ihr anscheinend recht war; das würde es mir bestimmt leichter machen, die Details über seine Gründe zu verbergen. Andererseits fragte ich mich unwillkürlich, was sie empfinden würde, wenn sie von jener Nacht gewusst hätte. So viel war klar: Ich wäre nicht in Split Rail, wenn sie es gewusst hätte. Darum schien Diskretion das einzig Richtige.
    Ich zog meine Geldbörse heraus und befingerte die drei Zwanzig dollarscheine, die Jerry mir dagelassen hatte. Sie waren so etwas wie eine Sicherheitsdecke geworden. Wenn ich sicher sein konnte, dass Dad sich garantiert nicht in meiner Nähe aufhielt,öffnete ich meine Geldbörse und fasste Jerrys Geld an. Es war meine Verbindung zu ihm.
    Ich hoffte inständig, dass ich sie nie für den von ihm beabsichtigten Zweck verwenden müsste.

SPLIT RAIL | 30. JUNI – 1. JULI 1979
    LaVerne und ich machten es uns vor dem Fernseher gemütlich. Dads Ranch lag weitab von den großen Sendern in Billings und Great Falls, daher war der Empfang miserabel. Dad hatte das mit einer riesigen Antenne geringfügig verbessern können, aber wir sahen den Bildschirm immer noch durch elektronisches Schneegeriesel.
    Ich hielt mich durch »Alice« und »Die Jeffersons« wach. Danach wurden meine Lider schwer. Ich sackte gegen LaVerne; sie legte einen Arm um mich, während Schlaf und Träume mich übermannten.
    Wir standen alle fünf in einem Halbkreis: ich, Jerry, Mom, Dad, Marie. Wir waren mitten in einem ausgetrockneten Seebett, das sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte. Unsere bloßen Füße sanken in den ausgetrockneten weißen Sand.
    Jeder konnte die Gesichter der anderen vier sehen. Alle anderen standen vollkommen still, nur ich nicht. Ich verrenkte den Hals, um jeden Einzelnen anzusehen, und mein Mund formte tonlos die Worte: »Was ist los?«
    Mom sagte: »Ich muss gehen«, und sie löste sich von der Gruppe. Wunderschön sah sie aus – strahlend wie die Sonne, in ihrem heiß geliebten blauen Frühlingskleid. Endlich funktionierte mein

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