Der Sommersohn: Roman
schnell an ihren Platz zurück.
SPLIT RAIL | 1. JULI 1979
Wenn ich an den Nachmittag zurückdenke, an dem für Dad und Marie alles in die Brüche ging, ist der Streit relativ unbedeutend. Ich denke nicht daran, wie sich aus dem kleinsten Funken erbitterte Jetzt-ist-aber-endgültig-Schluss-Kämpfe entzündeten. Ich wundere mich nicht, dass zwei Menschen, angeblich erwachsen, darum kämpfen können, wer einen Jungen geschickter als Schachfigur missbrauchen kann, und das vor lauter Eifer, einander zu verletzen. Das weiß ich alles. Ich hab es selbst gesehen. Ich war mittendrin. Aber ich beiße mich daran nicht fest.
Nein, ich denke daran, dass ich endlich, nachdem ich mir das wochenlang sehnlichst gewünscht hatte, den frühen Teil jenes Tages mit meinem Motorrad gefahren war. Es war inzwischen etwas zu klein für mich – immerhin war es zwei Jahre her, dass es für mich angeschafft wurde –, und meine Ellbogen ruhten träge auf meinen hochgezogenen Knien. Es sah albern aus, wie ich auf dem Bike hing, nur Arme und Beine und Ecken und Kanten. Das war mir aber egal. Sehr viel wichtiger war, dass ich all die freie Fläche um mich herum hatte, die ich wollte, überall voller Spuren von Trucks und Treckern, mein Tank war voll, und ich hatte keine Arbeit zu erledigen.
Der Tag gehörte mir. Dann, plötzlich und gnadenlos, doch nicht.
Dad rollte das Motorrad früh heraus, bevor ich aufwachte, und er tankte es auf und wechselte das Öl. Eine seltene Vorwegnahme von dem, worauf ich große Lust hätte, vielleicht inspiriert von dem Streit mit Marie in der vergangenen Nacht und vielleicht als Versöhnungsoder zumindest Ablenkungsversuch gedacht.
Ich stürmte nach dem Frühstück hinaus und fand das Motorrad in der Auffahrt, es sah so nagelneu aus wie an dem Tag, als Dad es mir vor zwei Sommern gekauft hatte. Ich strich mit dem Finger über den glänzenden roten Tank.
»Du weißt noch, wie du mit dem Ding umgehen musst?«, fragte Dad.
Ich zog die Helmriemen herunter und drückte mir die Schale über den Kopf. Sie passte gerade eben noch.
»Natürlich.«
»Okay. Sei vorsichtig.«
»Klar.«
Ich stieg auf, startete die Honda und trat den Seitenständer in Fahrposition. Ich ließ die Kupplung kommen und verlagerte mein ganzes Gewicht auf das Kickerpedal. Obwohl die Honda zwei Jahre unbenutzt herumgestanden hatte, sprang sie beim ersten Kick sofort an. Beim zweiten schnurrte sie.
Ich grinste Dad an. Er zeigte auf mich.
»Fahr immer mal wieder am Haus vorbei«, sagte er. »Wenn ich rauskommen und dich suchen muss, wärst du besser tot.«
Ich nickte, legte den Gang ein und ließ die Kupplung los. Wenn er sonst noch was zu sagen hätte, könnte er es meiner hinterlassenen Staubwolke erzählen.
Die Ranch bot genügend topografische Abwechslung, um mich zu zerstreuen. Munter und vergnügt zog ich neue Spuren in alte Furchen. Ich hatte Anweisung, das Vieh – Dad hielt ungefähr fünfzig Kuh-Kalb-Paare auf der Ranch – und die Äcker in großem Bogen zu umfahren. Der Rest stand zur Erforschung frei.
Zuerst steuerte ich das ursprüngliche Haus am anderen Ende des Grundstücks an. Der alte Bau verzauberte mich. Das kleineHaus, teils aus dem Sandstein der Rimrocks gebaut, stand am Rand des Grundstücks wie ein Geist, die Jahre unbeschadet überdauernd und dennoch nicht mehr verwendet. Jäger auf der Pirsch nutzten es gelegentlich während der Maultierhirsch-Saison, entweder über Nacht oder für ein Schläfchen, bevor sie die Jagd fortsetzten. Die Zeit und die Vegetation hatten dem Haus zugesetzt, aber es stand noch und hielt die Wacht über Grund und Boden und bewahrte, was für Geheimnisse es auch immer gesammelt hatte.
Das einzige Mal, dass ich vorher hier war, hatte ich etwas von seiner Geschichte zutage gefördert. In der Ruine des Küchenbereichs fand ich einen alten Silberlöffel, klein und zierlich, und Porzellanscherben. Ich brachte diese Sachen mit ins Haus, und Marie wollte sie für sich haben. Der Löffel wurde auf Hochglanz poliert, dass er wie neu aussah, und er landete in einer Vitrine an der Wand. Die Porzellanteile fanden auf dem Kaminsims Platz. Manchmal betrachtete ich die Objekte und dachte über die Menschen nach, die sie verwendet hatten. Ich sann darüber nach, was für ein Leben sie wohl geführt haben mochten, ihren Kampf in einem fruchtbaren, aber unbarmherzigen Land. Die Menschen, die zuerst hierherkamen und sich ein Leben aus diesem Ort schnitzten, hatten keine der Annehmlichkeiten, die ich
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