Der Sonntagsmann
nach elf Uhr vormittags rief Boel Haraldson zurück.
»Der Haftrichter war etwas widerwillig, müssen Sie wissen«, sagte sie. »Aber zum Schluss konnte ich ihn doch überzeugen. Das Entscheidende war nicht der Fingerabdruck, sondern dass er gewusst haben musste, dass sie tot war. Eine andere Erklärung gibt es schließlich nicht für das Postfach.«
Elina brachte kein Wort heraus.
»Ich habe betont, dass die Zeit sehr knapp und heute der letzte Tag ist«, fuhr Boel Haraldson fort. »So etwas sollte eigentlich keine Rolle spielen, aber vermutlich dachte er an die Schlagzeilen, falls sich herausstellen sollte, dass er wirklich der Mörder ist.«
»Und die Tochter?«
»Der Haftbefehl ergeht nur wegen des Mordes an Ylva.«
»Aber …«
Boel Haraldson fiel ihr ins Wort.
»So sind nun mal die Gesetze. Wir haben keine Leiche. Und für uns spielt das in diesem Stadium auch keine Rolle.«
»Ich werde ihn verhören, sobald er einen Anwalt hat«, sagte Elina.
»Gut. Aber lassen Sie ihm zuallererst Blut abnehmen, und schicken sie es per Eilboten zum Staatlichen Kriminaltechnischen Labor. Sie glauben vielleicht schon, dass sie die Deadline nicht überschritten haben, aber da muss ich Sie leider enttäuschen: Bjerre sitzt nur aufgrund von dringendem Tatverdacht in Untersuchungshaft. Das bedeutet, dass Sie ihn eine Woche lang festhalten können, aber keinen Tag länger. Dann muss ich dem Haftrichter etwas Neues vorlegen können. Der Verdacht muss sich bis dahin bis zu einem hinreichenden Tatverdacht erhärtet haben.«
»Andernfalls?«
»Andernfalls kommt er frei, und dann ist es für alles zu spät. Danach noch Beweise zu erbringen ist sinnlos, die Sache ist dann verjährt. Finito. «
»Das ist nicht fair! Und wenn der DNA-Test erst in zwei Wochen vorliegt?«
»Tut mir leid. Eine Woche. Das ist vertretbar, schließlich hatte die Polizei fünfundzwanzig Jahre Zeit. Sie müssen sich damit abfinden, Frau Wiik. Legen Sie sich ins Zeug.«
Gemeinsam mit Inspektor Didriksen betrat Elina die Zelle von Leif Oskar Bjerre im Präsidium. Didriksen erklärte ihm, dass er sich wegen des Mordes an Ylva Marieanne Malmberg in Untersuchungshaft befand.
Bjerre schaute zu Boden und sagte mit leiser Stimme: »Ich habe das gestern bereits gesagt. Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen. Ich habe niemanden ermordet.«
»Jetzt nehmen wir Ihnen erst mal Blut ab. Wenn Ihr Anwalt hier ist, können wir uns weiterunterhalten.«
Er saß reglos auf seiner Pritsche, als sie die Tür wieder schlossen.
Der Anwalt traf eine Viertelstunde später ein. Elina überreichte ihm den Haftbefehl. Er bat darum, unter vier Augen mit seinem Mandanten sprechen zu dürfen und wurde in die Zelle gelassen.
Der Kriminaltechniker, der am Vorabend konstatiert hatte, dass die Fingerabdrücke übereinstimmten, schaute in Didriksens Büro. »Wir kommen gerade von Bjerres Haus«, sagte er.
»Wir haben nichts Besonderes gefunden, aber ein paar Sachen mitgenommen. Wollen Sie sie sehen?«
Das wollte Elina. Die beschlagnahmten Gegenstände lagen in einem Pappkarton. Es handelte sich fast ausschließlich um Papiere. Sie blätterte sie rasch durch, ohne auf etwas zu stoßen, was mit dem Fall zusammenzuhängen schien. Zuunterst lagen etwa zehn Umschläge mit Farbfotos sowie ein Stapel loser Fotos.
Mitten im Stapel lag es. Elina erkannte Ylva sofort. Sie stand fröhlich und sonnengebräunt vor einem Auto. Bjerre war jünger, glich aber bereits seiner jetzigen Erscheinung. Es bestand kein Zweifel, dass es sich bei dem Mann, der seinen Arm um Ylva gelegt hatte, um ihn handelte. Indien. Der Unfall mit dem Jungen. Elinas Gefühle schwankten zwischen Trauer und Genugtuung.
»Mein Mandant hält an seiner Aussage von letzter Nacht fest. Er bestreitet jedes Verbrechen.« Der Anwalt sprach. Bjerre schwieg.
Elina beschloss, direkt zur Sache zu kommen. »Ihre Fingerabdrücke sind am Tatort im Haus gefunden worden. Wie erklären Sie sich das?«
»Mein Mandant beruft sich auf seine kriminelle Vergangenheit«, sagte der Anwalt. »Er beging sowohl in Norwegen als auch in Schweden Einbrüche. Wahrscheinlich war er irgendwann auch in dem fraglichen Haus. Können Sie die Fingerabdrücke datieren?«
Das konnte Elina natürlich nicht, zog es aber vor, die rhetorische Frage des Anwalts nicht zu beantworten.
»Mir wäre es lieber, wenn Ihr Mandant meine Fragen persönlich beantworten könnte.«
»Er hat sich dagegen entschieden, was sein Recht ist.«
»Herr Bjerre«, sagte
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