Der Sonntagsmann
Elina. »Im Oktober 1979 haben Sie ein Postfach in Svolvsær gemietet. Wozu haben Sie dieses Fach genutzt?«
Bjerre schwieg beharrlich.
»Als wir mit Ihnen in der Zelle gesprochen haben, behaupteten Sie, nicht zu wissen, wer Ylva Malmberg sei. Stimmt das?«
Bjerre nickte. Gut, dachte Elina. Ich muss ihn dazu bringen, mit mir zu kommunizieren.
»Können Sie die Personen auf diesem Foto identifizieren?«
Leif Oskar Bjerre beugte sich leicht vor. Dann sank er wortlos in sich zusammen.
Elina wandte sich an den Anwalt. »Könnten Sie Ihrem Mandanten bitte vorschlagen, endlich mit uns zusammenzuarbeiten?«, sagte sie.
»Ich habe ihm geraten, die Fragen zu beantworten, aber er lehnt dies ab. Tut mir leid.«
»Dann reden Sie ihm noch mal gut zu.« Elinas Ton wurde schärfer.
»Natürlich bin ich der Meinung, dass er dazu beitragen sollte, eventuelle Unklarheiten in dieser Sache auszuräumen. Aber er will nicht.«
Elina versuchte, Bjerre in die Augen zu sehen. »Die Blutprobe, die wir Ihnen abgenommen haben, ist bereits auf dem Weg zum Staatlichen Kriminaltechnischen Labor in Linköping. In einer Woche werden wir wissen, ob sie mit Ylva geschlafen haben, bevor sie getötet wurde. Sie haben schlechte Karten. Nur Sie können klären, ob wir den Fall gänzlich missverstanden haben. Aber wenn wir Ihre Version von dem, was vorgefallen ist, nie zu hören bekommen, wird sich das Gericht nur anhören, was wir zu sagen haben. Dann laufen Sie Gefahr, wegen Mordes verurteilt zu werden.«
Bjerre erwiderte nichts. Stur starrte er auf den Tisch.
Elina erhob sich und trat hinter ihn. »Wissen Sie«, sagte sie, »Sie tun mir in der Tat ein wenig leid. Sie sind vermutlich der erste Mensch überhaupt, der am Tag vor der Verjährung eines Mordes noch festgenommen wurde. Ein Tag später, und Sie wären davongekommen.«
Bjerre hob den Kopf. »Verjährt? Was heißt das, verjährt?«
Sie hatte ihn dazu gebracht, zu reagieren und den Mund aufzumachen. »Nach fünfundzwanzig Jahren kann man für einen Mord nicht mehr belangt werden, selbst wenn man der Schuldige ist.«
»Fünfundzwanzig Jahre?«
»Wussten Sie das nicht? Dieser Tag ist morgen. Wir haben Sie im allerletzten Moment noch festgenommen.«
Bjerre schwieg einen Augenblick. »Wenn der Mord also vor mehr als fünfundzwanzig Jahren begangen worden wäre, käme man davon, stimmt’s?«
Elina fragte sich, warum er immer alles wiederholte.
»Ja«, erwiderte sie.
»Und dieser Tag wäre morgen, am 1. Oktober? Stimmt’s?«
»Ja. Sie hatten wirklich maximales Pech.«
Bjerre fixierte Elina. Lange. Seine Gesichtszüge erstarrten. Dann brach er plötzlich in Gelächter aus. Ein lautes, verrücktes Gelächter. Er schien sich nicht mehr halten zu können. Zum Schluss kippte er vornüber auf den Tisch. Er zuckte konvulsivisch.
Elina wusste nicht, was sie tun sollte. Eine Wache trat ein.
»Holen Sie einen Arzt«, sagte sie.
Sie führten Bjerre zurück in seine Zelle, um ihn auf seine Pritsche zu legen. Er keuchte schwer. Schließlich lag er still da. Lächelnd sah er Elina an. Der Blick war unangenehm. Seine Augen glichen denen eines Tieres.
Der Arzt sollte entscheiden, ob ein Psychiater konsultiert werden sollte.
»Da haben Sie ihn ja richtig erschreckt«, meinte Didriksen, nicht weniger gelassen als zuvor.
53. KAPITEL
Die ärztliche Untersuchung ergab, dass Leif Oskar Bjerre keine körperlichen Beschwerden hatte, aber da er nicht reden wollte, ließ sich über seine psychische Verfassung nichts sagen. Man beschloss, ihn trotzdem bis auf weiteres in seiner Zelle zu belassen. Elina beriet sich mit Boel Haraldson. Sie waren sich einig, dass es das Beste sein würde, die DNA-Ergebnisse des Kriminaltechnischen Labors abzuwarten. Falls diese positiv ausfielen, würden sie einen erneuten Versuch machen, ihn zu verhören. Bis dahin sollte Elina abwarten.
»Fahren Sie nach Hause«, sagte Haraldson. »Er ist in Gewahrsam. Wenn die Gerechtigkeit fünfundzwanzig Jahre lang warten musste, kann sie es auch noch eine weitere Woche lang tun.«
Elina dankte Inspektor Didriksen für seine Hilfe. Er versprach, von sich hören zu lassen, sobald sich etwas Neues ergab. Sie nahm die Abendmaschine nach Hause. Vor dem Zubettgehen zündete sie eine Kerze an. Es war Donnerstag, der 30. September, der fünfzigste Geburtstag von Ylva Marieanne Malmberg.
Um Viertel vor acht begab sich Elina zu Fuß zum Präsidium. Ihr Zimmer sah anders aus. Nichts hatte sich verändert. Alles war an seinem Platz,
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