Der Sonntagsmann
zu spät kommen. In einer Seitenstraße stand ein Auto. Er drückte den Türgriff. Abgeschlossen, aber damit kam er klar! Er brauchte nicht einmal eine Minute, um die Tür zu öffnen und nicht mehr als zwei, um die Zündung kurzzuschließen. Er trat das Gas durch und ihm wäre fast der Motor abgesoffen, weil er die Kupplung zu schnell kommen ließ.
Die schmale Straße schlängelte sich den Berghang entlang. Kari brannte darauf zu erfahren, was er ihr zu sagen hatte. Vor ihr tauchte ein Fjord auf, der wie eine Speerspitze ins Land schnitt. Die Straße teilte sich an den Seiten des Fjords wie eine gespaltene Zunge. Sie bremste und hielt auf der Gabelung an. Sie war sich nicht sicher, ob sie Bjerres Wegbeschreibung richtig verstanden hatte und fuhr auf gut Glück nach links.
Sie fuhr ein paar Kilometer und kam an einem kleinen Haus vorbei, das dunkel und ohne Leben dalag. Die Straße wurde schlechter und endete plötzlich ganz. Der Straßenschotter ging unvermittelt in Vegetation über. Dort stand bereits ein Auto, das von Bjerre. So hatte er es beschrieben, sie hatte es gefunden. Dort sollte sie parken und dann zu Fuß geradeaus weitergehen, über den Berg und hinunter zur Fischerhütte.
Sie wendete und stieg aus. Sie leuchtete mit ihrer Taschenlampe voraus. Mit jeder Minute, die verging, wurde es dunkler, und sie bereute es, Robert nicht darum gebeten zu haben, sie zu begleiten. Aber jetzt war es zu spät. Sie begann zu gehen, der Boden war steinig und nicht sonderlich feucht. Es sei nicht weit, hatte Bjerre gesagt, nur zehn Minuten. Der Weg wurde von hohen Bergen flankiert. Der Pfad teilte sich, und sie wurde erneut unsicher, entschied sich aber wiederum für den linken.
Nach fünf Minuten tauchte das Meer im letzten, schwachen Abendlicht vor ihr auf, bleigrau, mit einer aufgewühlten Dünung, die schäumend am Ufer auslief. Direkt am Wasser lag ein kleines Haus mit einem erleuchteten Fenster. Das musste es sein, dachte sie und leuchtete vor ihre Füße, um nicht über Steine zu stolpern.
Eine Silhouette wurde im Fenster sichtbar. Mit einem Mal wurde ihr mulmig. Nach wenigen Schritten stand sie vor dem Haus. Sie klopfte und trat ein. Der Mann stand hinter der Tür. Seine Augen leuchteten, sein Blick erinnerte an den eines Wolfes. Kari wich zurück. Langsam veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
»Wo ist Ihr Freund?«, fragte er.
»Er … er war verhindert«, sagte Kari stockend. Sie schaute zur Tür, die immer noch offen stand.
»Ich habe doch gesagt, Sie sollten beide kommen.« Er trat einen Schritt auf sie zu. Sie wich zurück. Er sah überhaupt nicht aus wie sie. Alles war grob, sein Körper und seine Gesichtszüge. Du bist nicht mein Vater, dachte Kari.
»Na dann«, meinte er. »Dann sind wir eben zu zweit. Mein Boot liegt vor der Tür. Wir fahren ein wenig raus.«
»Ich wollte mich nur unterhalten.«
»Kommen Sie schon.«
Sie wich einen Schritt zurück. Sie sahen sich abwartend an.
»Nein«, sagte sie. Langsam wurde der Gedanke deutlicher. Das Boot … hier ist es tief. Genau wie Johannes. Zelten Sie nicht? Das hatte Bjerre sie am Telefon gefragt. Woher hatte er das gewusst? Bestand da ein Zusammenhang? Sie drehte sich um und betrachtete das Boot, das an der Brücke vertäut lag und schwerfällig in der Brandung auf und ab wippte.
Die Tür war geöffnet, aber er versperrte ihr den Weg. Vielleicht war es ihr Blick, oder dass sie fast unmerklich zurückwich: Er schien ihre Gedanken lesen zu können. Er packte sie am Arm und stieß sie vor sich her. Sie versuchte sich zu wehren, merkte jedoch, dass er zu stark war. Mit der anderen Hand löste er das Tau und zog sie hinter sich in das Boot hinunter.
Das Boot schwankte unter ihrem Gewicht. Kari trat ihm auf den Fuß und warf sich gegen seinen Oberkörper. Er verlor das Gleichgewicht und fiel hintenüber ins Wasser. Mit knapper Not gelang es ihr, sich an der Reling festzuklammern und wieder auf den Steg zu klettern, ehe das Boot abtrieb. Sie sah noch, dass Bjerre an Land schwamm.
Sie rannte auf den Berg zu, stolperte über einen Stein, rappelte sich auf und lief weiter. Sie drehte sich um, konnte ihn in der Dunkelheit aber nicht sehen. Doch sie wusste, dass er da war, hinter ihr.
Das Auto … es stand vor ihr. Sie suchte in ihrer Hosentasche nach dem Schlüssel. Dann steckte sie ihn ins Zündschloss: Geh schon an! Geh an! Gerade als der Motor ansprang, riss er an der hinteren Tür. Abgeschlossen! Sie fuhr los, ohne sich umzudrehen, ohne sich
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