Der Sonntagsmann
Aber Kari wollte nur wissen, wie sein Verhältnis zu Ylva gewesen war. Elina antwortete, so gut sie konnte. Das Bild von Ulf Nyman war nicht sonderlich einnehmend. Aber nach fünfundzwanzig Jahren Ungewissheit hatte Kari das Recht auf unbeschönigte Antworten.
Elina zog ein Foto hervor. Es war am Tag zuvor mit der Post gekommen. Sie reichte es Kari.
Kari betrachtete das dunkelhäutige Mädchen auf dem Foto.
»Wer ist das?«, fragte sie und sah Elina an.
»Das ist Ihre Halbschwester. Sie heißt Mary. Sie wohnt in Oslo. Sie und ihre Mutter Grace lassen Ihnen ausrichten, dass Sie dort jederzeit willkommen sind. Grace sagt auch, dass Mary sich sehr darüber freut, eine Schwester bekommen zu haben. Sie freut sich sehr darauf, Sie kennen zu lernen.«
»Mary«, flüsterte Kari und betrachtete das Foto erneut.
Zwei Tage später klingelte das Telefon. Inspektor Didriksen war am Apparat.
»Ich habe mich noch ein paarmal mit Bjerre unterhalten«, sagte er. »Ich wollte gern eine Antwort auf sämtliche Fragen erhalten, obwohl kein Straftatbestand mehr vorliegt. Ich habe mich auch bei meinen Kollegen in Ramberg erkundigt, also in der Gemeinde, in der die Solbakkens gewohnt haben.«
»Und was haben Sie in Erfahrung gebracht?«, fragte Elina.
»Ich wollte wissen, wie das eigentlich war, als er das Kind auf die Treppe gelegt hat. Ich fand es seltsam, dass diese Sache mit dem Findelkind nie mit der Ermordeten aus Jäkkvik in Zusammenhang gebracht worden war. Und dann wollte ich auch wissen, wieso mir niemand erzählt hat, dass Kari Solbakken auf den Inseln gewesen ist. Sie hat nämlich mit der Polizei in Ramberg gesprochen.«
»Und?«
»Es scheint, dass Reidar Solbakken damals vor fünfundzwanzig Jahren dafür gesorgt hat, dass nicht weiter ermittelt wurde. Er wollte das Kind behalten. Und jetzt gab es niemanden, der den Besuch der Solbakken-Tochter in einen Zusammenhang mit Bjerre gebracht hat. Keiner meiner Kollegen wusste, dass Bjerre als Pflegesohn bei den Solbakkens gewohnt hatte. Niemand sah den Zusammenhang, mit einer Ausnahme.«
»Und zwar wem?«
»Er heißt Johannes Olsen. Er wohnt in dem Haus, in dem früher die Solbakkens gewohnt haben. Kari hatte ihn aufgesucht. Bjerre erzählte, dass Johannes Olsen ihn angerufen und gewarnt hat, weil Kari Erkundungen über ihn eingeholt hat. Dann war er sogar zu Bjerre gefahren, um mit ihm zu besprechen, was zu tun sei.«
»Hat er Bjerre gewarnt? Wieso das?«
»Das wollte ich auch wissen. Welchen Grund hatte Johannes Olsen, Bjerre zu warnen? Es zeigte sich, dass Johannes wusste, dass Bjerre derjenige gewesen ist, der Kari auf die Treppe der Solbakkens gelegt hatte. Er hat ihn in jener Nacht beobachtet und sich dieses Wissen zunutze gemacht.«
»Wie das?«
»Reidar und Berit Solbakken glaubten natürlich zuerst, Bjerre sei der Vater. Schließlich wussten sie nichts von dem Mord. Sie wollten sämtliche Nachforschungen vermeiden, weil sie Angst hatten, das Kind zu verlieren. Johannes war wahnsinnig heimtückisch. So lange Reidar am Leben war, wagte er nichts zu unternehmen. Aber nachdem Reidar gestorben war, hat er Berit Solbakken erpresst, und zwar recht raffiniert, das muss ich schon sagen.«
Didriksen machte eine kleine Pause. Erzähl weiter, dachte Elina.
»Ich habe das Haus überprüft, in dem Kari als Kind gewohnt hat. Berit Solbakken ist immer noch als Besitzerin eingetragen. Johannes hat sie offenbar dazu gebracht, es ihm einfach so zu überlassen, als sie mit Kari nach Schweden umgezogen ist. Seither hat er dort gewohnt.«
»Als dann Kari auftauchte, stellte sie auch für Johannes Olsen eine Bedrohung dar.«
»Genau.«
»Berit Solbakken ist verstorben. Gehört das Haus jetzt Kari?«
»Ich bin kein Experte für diese juristischen Erbfragen. Aber es hat ganz den Anschein. Es ist sicher weitaus mehr als eine Million wert.«
Elina versprach, Kari davon zu erzählen.
»Noch etwas«, sagte Didriksen. »Heute morgen wurde Bjerres Boot gefunden. Es trieb weit draußen auf dem Meer. Leer. Leif Oskar Bjerre ist verschwunden. Ich glaube nicht, dass wir ihn finden werden.«
59. KAPITEL
Am nächsten Morgen fuhr Elina in die Sandgärdsgatan. Sie wusste nicht recht, warum, vielleicht um Ylva ein letztes Mal Lebewohl zu sagen. Ihre Zukunft als Polizeibeamtin war unklar. Aber sie sah ein, dass sie den Fall Ylva abschließen und hinter sich lassen musste.
Sie stieg die Treppe zur Wohnungstür hinauf. Niemand öffnete auf ihr Klingeln. Die Unterhaltung mit Ylva Hedlund
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