Der Sonntagsmann
meist deprimiert.«
Sie stand auf und verließ die Küche. »Danke für das Essen. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.«
»Stimmt’s?«, fragte er, während sie in ihre Schuhe schlüpfte.
»Was?«
»Dass du deprimiert bist?«
»Warum sollte ich das ausgerechnet dir erzählen?«
»Weil ich frage. Hat dich sonst schon mal jemand gefragt?«
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. »Nein«, antwortete sie.
»Sonst hat noch niemand gefragt.«
»Ich bin auch recht allein. Ich habe einen guten Freund, aber der arbeitet tagsüber, dieser verräterische Aktivist. Hast du keine Eltern oder Geschwister?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Meine Alten sind geschieden«, sagte Robert. »Wo mein Vater abgeblieben ist, davon habe ich keine Ahnung. Aber Mutter kocht immer für mich. Sie sagt, dass ich sonst nicht ordentlich esse. Sie ist okay. Gibt mir auch Geld für die Miete. Sind deine Eltern tot?«
»Mama ist vor acht Jahren gestorben, Papa als ich klein war. Sie waren schon recht alt, als sie mich bei sich aufgenommen haben.«
»Was soll das denn heißen, aufgenommen?«
»Sie haben mich adoptiert.«
»Und jetzt sind sie tot, und du hast keine Geschwister?«
Kari schüttelte wieder den Kopf.
»Wer sind denn deine richtigen Eltern?«
»Mama wusste das nicht, also meine Adoptivmutter. Oder sie wollte es mir nicht sagen.«
»Würdest du es denn wissen wollen?«
Sie sah ihn an. Seine Augen waren blau, in seinem Gesicht lag überhaupt nichts Berechnendes.
»Ich rede jeden Tag mit ihr.«
»Mit deiner Mama? Am Telefon? Aber du hast doch gesagt, dass du nicht weißt …«
Kari schüttelte den Kopf. »Du bist wirklich nicht der Hellste, weißt du das?«
Sie merkte, wie verlegen ihn sein Fehler machte und dass ihre Worte ihn verletzt hatten.
»Hast du keinen Wein?«, fragte sie. »Ich könnte jetzt ein Glas vertragen.«
»Die Spirituosenhandlung hat noch auf«, sagte er. »Ich kann noch schnell hingehen.«
Er zog seine Schuhe an, drehte sich aber in der Tür noch mal um.
»Ich habe nur noch zwanzig Kronen«, meinte er. »Klauen kann man da auch nicht. Als ich es das letzte Mal versucht habe, haben sie mich gleich erwischt. Hast du ein bisschen Geld?«
8. KAPITEL
Der Abend war in die Nacht übergegangen, bis sie endlich ins Bett gekommen war. Sie hatten sich lange unterhalten und Wein getrunken.
Es regnete. Sie trat ans Fenster und sah nach draußen. Die Straße war leer, nur eine Reihe geparkter Autos war zu sehen. Niemand schien den Ratschlag »nutze den Tag« zu beherzigen. Sie verabscheute diesen Ausdruck, der in seiner auffordernden Munterkeit etwas Unangenehmes an sich hatte.
Bei der Unterhaltung war es nicht so sehr um sie gegangen, als um ihre Freundin. Aber sie erkannte sich in Susannes Frustration wieder, allerdings aus einer anderen Perspektive betrachtet. Elina hatte eher widerstrebend erzählt, wie es ihr während des Frühjahrs und Sommers ergangen war. Das war bei weitem nicht alles gewesen, sie sprach nicht gern über sich selbst, niemandem gegenüber, gleichgültig, wie nahe ihr die andere Person stand. Susanne hatte zugehört, aber nicht sonderlich viel gesagt. Elina hatte die Reaktion ihrer Freundin nicht recht deuten können.
Elina hatte mit dem Auto auf die Insel Ängsö oder Björnö fahren wollen, um dort einen langen Vormittagsspaziergang zu machen, am liebsten zusammen mit Nadia, ihrer zweiten Busenfreundin. Aber bei dem Regen überlegte sie es sich anders. Sie legte sich aufs Bett und begann in den Ermittlungsakten über den Mord an Ylva Marieanne Malmberg zu lesen. Sie hatte sie mit nach Hause genommen, was sicher gegen die Regeln verstieß, aber hatte Rosén nicht selbst gesagt, dass sie keine reguläre Arbeitszeit darauf verwenden durfte? Schließlich konnte ihr niemand einen Vorwurf daraus machen, dass sie sich in ihrer Freizeit für einen alten Fall interessierte. Falls es ihr gelang, die Akte jetzt am Sonntag zu lesen, würde sie Kärnlund gegen Abend besuchen. Besuchszeit war um sieben Uhr. Dann hatten sie auch etwas, worüber sie reden konnten, und er würde sich über die Ablenkung sicherlich freuen.
Das Material bestand wie meistens überwiegend aus Verhörsprotokollen. Elina holte sich einen Block und einen Stift, um die Namen und Personennummern und anderes, was ihr an den Verhörsprotokollen wichtig erschien, zu notieren.
Als sie den Stift in der Hand hielt, wurde ihr bewusst, dass sie das Material ernsthaft durchzuarbeiten begann. Der Prozess in ihrem Gehirn war in Gang
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