Der Sonntagsmann
gekommen war?
Obwohl die Leiche übel zugerichtet gewesen war, hatte man die Todesursache zweifelsfrei feststellen können: Erwürgt.
»Mit den Händen oder mit einer Schlinge?«, notierte Elina und ärgerte sich, dass mit den Details gegeizt worden war.
Der Gerichtsmediziner hatte Spermareste in Ylvas Scheide gefunden. Doch es deutete nichts darauf hin, dass Ylva Malmberg vor ihrem Tod sexueller Gewalt ausgesetzt worden war, was allerdings schwer festzustellen gewesen war, da der Leichnam bereits stark verwest gewesen war.
Elina vermutete, dass es sich bei dem »humanbiologischen Material«, das der kryptische Kriminalkommissar aus Piteå im Begleitschreiben erwähnt hatte, um die Spermareste handelte, die sich noch in Linköping befanden. Elina versuchte zurückzudenken. Vor 25 Jahren hatte es noch keine DNA-Tests gegeben. Ob die Menge und die Qualität für einen solchen Test ausreichten?
Vielleicht sollte ich damit beginnen, nach einem Verdächtigen zu suchen, dachte sie.
Das Haus der alten Großmutter war abgeschlossen gewesen, als man die Leiche gefunden hatte, und nichts dort hatte auf eine gewaltsame Auseinandersetzung schließen lassen, obwohl es in den Zimmern recht unordentlich gewesen war. Ob diese Unordnung jedoch auf einem Streit vor dem Mord oder darauf, dass schon eine Weile nicht mehr aufgeräumt worden war, beruht hatte, hatte sich nicht feststellen lassen. Man hatte ebenso wenig sagen können, wo der Mord begangen worden war.
Und das Kind … Elina wollte sich gar nicht erst ausmalen, was Ylvas Tochter widerfahren sein konnte. Sie wusste, dass diese Gedanken sie verfolgen würden, wenn sie weiter las, wenn sie einschlief, wenn sie morgens erwachte oder wenn sie eine Frau mit einem Kinderwagen auf der Straße sah. Sie machte eine kurze Pause, ging in die Küche und erhitzte Wasser in der Mikrowelle. Mit einer Tasse Instant-Kaffee in der Hand kehrte sie wieder zu ihren Unterlagen zurück.
Der Kinderwagen hatte hinter der Haustür gestanden. Von den Sachen für das Baby schien nichts gefehlt zu haben, obwohl niemand wusste, ob es Fläschchen, Bettwäsche, Windeln oder ähnliche Dinge im Haus gegeben hatte. Nur eines war sicher gewesen: Das Kind war weg. Carolina, fünf Monate alt, als ihre Mutter des Lebens beraubt worden war, war verschwunden. Spurlos verschwunden.
Die Suche war umfassend gewesen. Buchstäblich jeder Stein in der Umgebung war umgedreht worden. Aber sie war und blieb verschwunden. Es bestand der Verdacht, dass der Mörder das Baby vergraben hatte. Aber weder ein Spaten noch Spuren, die darauf hätten schließen lassen, dass gegraben worden war, waren gefunden worden. Das Fjäll war allerdings auch unendlich, wie einer der Polizeibeamten lakonisch festgestellt hatte. Eine andere Vermutung hatte gelautet, dass der Mörder das Kind hatte entführen wollen und dass es sich um eine kinderlose Frau gehandelt hatte, die das Mädchen anschließend versteckt hatte.
Einem Gerücht zufolge, das sich rasch verbreitet und wie eine Giftgaswolke über der Gegend gehangen hatte, hatten die Samen die Kleine geklaut. War es nicht ein alter Same gewesen, der die Mutter als letzter noch lebend angetroffen hatte?
Elina legte die Blätter beiseite und stützte den Kopf in die Hände.
Es konnte sich um einen ungeplanten Mord gehandelt haben, dachte sie. Einem Mann aus der Gegend oder einem, der zufällig vorbeigekommen war, war aufgefallen, dass die junge Frau allein wohnte, und er hatte sie aufgesucht. Dann hatte er sie zum Sex gezwungen. Im Gewaltrausch hatte er sie anschließend ermordet.
Aber Elinas Überlegungen gingen in eine andere Richtung. Ylva Malmberg hatte sich geweigert, den Vater ihres Kindes preiszugeben. Warum nur? Das ließ auf Verängstigung oder eine drohende Gefahr schließen. Dann hatte sie sich, ohne jemandem Bescheid zu sagen, in die Wildnis abgesetzt, was wie eine Flucht wirkte. Und zuletzt war sie ermordet worden. Sollte das etwa eine zufällige Verkettung von Ereignissen gewesen sein? Außerdem war es eine Tatsache, dass Frauen meist von ihnen nahestehenden Männern ermordet wurden.
Ganz offensichtlich hatten die Ermittler in ähnlichen Bahnen gedacht. Sie hatten ebensoviel Energie darauf verwendet, den unbekannten Vater aufzuspüren wie den unbekannten Mörder. Aber trotz unzähliger Verhöre mit Männern in Ylva Malmbergs Umfeld konnte kein potenzieller Vater ermittelt werden. Blutgruppenuntersuchungen hatte man ebenfalls nicht durchführen können, da die
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