Der Sonntagsmann
wieder anzukleiden.
»Warten Sie hier.«
Die beiden männlichen Kollegen betraten wieder den Raum. Der eine setzte sich Kari gegenüber und sah ihr in die Augen. »Unser Hund hat bei Ihnen deutlich Laut gegeben. Das bedeutet, dass Sie in Kontakt mit Drogen gewesen sein müssen. Stimmt das?«
»Nein.« Kari versuchte nicht zu weinen.
»Können Sie uns erklären, warum der Hund dann auf Sie reagiert hat?«
Kari schüttelte den Kopf. Der Beamte bat sie um ihren Namen und ihre Adresse und verglich die Angaben mit ihrem Pass. »Sie können jetzt gehen«, sagte er. Kari bat um ein Glas Wasser.
Daran, wie sie in ihre Wohnung in Gröndal gelangt war, konnte sie sich nicht mehr erinnern. Die ersten Tage hatte sie die Angst, der Spürhund könnte Spuren des Dopes, das sie ins Klo gespült hatte, entdecken, fast gelähmt. Jetzt waren sechs Tage vergangen, und sie wagte allmählich wieder zu hoffen, dass nichts mehr passieren würde. Andernfalls hätten sie sich sicherlich bereits gemeldet, die Polizei hätte sie abgeholt, dessen war sie sich fast sicher. Sie stand auf und ging ins Badezimmer. Ihr Gesicht war verquollen, die Sonnenbräune der zwei Monate in Vietnam war fast ausradiert. Sie stellte sich auf die Waage. 48 Kilo. Sie hatte mehr als fünf Kilo abgenommen. Jack, dachte sie. Vielleicht findet er mich und rächt sich an mir. Aber wie sollte er das anstellen? Wie soll er herausfinden, wie ich außer Kari noch heiße? Habe ich ihm überhaupt meinen Namen genannt? Vielleicht hat er ja in den Hotels gefragt und meinen Namen und meine Passnummer erfahren? Aber würde er nur deswegen nach Stockholm fahren?
Sie betrachtete ihre spiegelverkehrten Gesichtszüge. Die Angst stand ihr wie ein Kastenzeichen ins Gesicht geschrieben. Der Gedanke an Jack und an das, was er ihr angetan hatte, ließ sie in Tränen ausbrechen. Ihre Wehrlosigkeit war schlimmer gewesen als seine Tätlichkeit. Und jetzt hatte sie Angst, dass er sich rächen, an ihr rächen könnte!
Sie kehrte zum Bett zurück und ließ sich darauf niedersinken. Es stand in der Ecke des einzigen Zimmers. Kleider lagen am Boden verstreut, und auf dem kleinen Tisch in der Küche stand schmutziges Geschirr. Sie hatte noch ein paar tausend Kronen übrig von damals, als sie abends bei 7-Eleven gearbeitet hatte. Das Geld hatte sie auf ihrem Konto gelassen, als sie weggefahren war. Sie besaß auch ein Sparbuch, wusste aber nicht, wie viel Geld sich darauf befand. Vielleicht ein paar weitere tausend? Einige Wochen lang würde sie zurechtkommen, vielleicht einen Monat. Aber dann? Sie hatte keine Arbeit und niemanden, den sie anrufen und mit dem sie reden konnte. Niemand konnte ihr helfen. Der Druck hinter ihrer Stirn wurde stärker. Sie hätte jetzt gern etwas geraucht und bereute eine verwirrte Sekunde lang, das gestohlene Haschisch weggeworfen zu haben.
Sie zuckte zusammen, als es klingelte. Der Schreck erfasste sie wie eine Welle. Sie schaute durch den Spion. Es war der Nachbar von oben. Sie wusste nicht, wer er war, sie kannte ihn nur vom Sehen. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit.
»Hallo«, sagte er. »Ich habe gesehen, dass du wieder zu Hause bist. Ich heiße Robert und wohne …«
»Was willst du?« Karis Stimme klang barsch.
Er trat eine Schritt zurück. »Ich wollte nicht stören.«
»Was willst du dann?«
»Ich dachte nur … vielleicht willst du eine Kleinigkeit essen? Meine Mutter hat mir einen Hühnereintopf vorbeigebracht, und das ist so viel, dass es vielleicht …«
Sie schwieg einen Augenblick und starrte ihn an. Er sah harmlos aus, war etwas jünger als sie. »Okay. Ich komme in ein paar Minuten.« Dann machte sie ihm die Tür vor der Nase zu.
Schweigend aßen sie an seinem Küchentisch. Als sie fertig waren, schob Kari den Teller beiseite.
»Was machst du so?«, fragte sie.
»Nicht viel. Manchmal helfe ich Freunden mit so allem Möglichen. Das bringt in der Tat allerhand ein. Außerdem spiele ich noch in einer Band.«
»Tretet ihr irgendwo auf?«
»Gelegentlich. Letzten Sommer beispielsweise in Söderorts Hiphoparena. Das war ein Festival für Bands aus der Gegend, vielleicht hast du davon gehört?«
»Alle die wollen, dürfen mitmachen. Ich weiß.«
Robert nickte. »Es bringt noch nichts ein. Aber wir haben große Pläne. Außerdem male ich. Kunst.«
»Auf Wände? Im Freien?«
Er schwieg eine Weile. Sie musste lachen.
»Habe ich Unrecht? Du bist arbeitslos und malst Graffiti.«
Er lächelte. »Und du hast gelacht. Sonst wirkst du
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