Der Sonntagsmann
Kollegen, Erik Enquist, hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Zwischen den Mordfällen arbeitete er in Hallstahammar.
Egon Jönsson trat als Letzter ein und setzte sich ans Tischende. Seit fast einem halben Jahr leitete er nun als Kärnlunds Nachfolger das Kriminaldezernat. Es war eine chaotische Zeit gewesen, nicht weil Jönsson persönlich ungeeignet gewesen wäre, sondern weil das gesamte Polizeiwesen in einer tiefen Krise steckte. Auch die Västeraser Polizei war davon nicht verschont geblieben. Die Konflikte innerhalb der Behörde hatten sich zu reinen Machtkämpfen zwischen verschiedenen Gruppen ausgewachsen. Während sich die Polizisten gegenseitig bekämpften, sank die Aufklärungsquote der Alltagskriminalität in den Promillebereich ab. Die Polizeiführung fast aller Ebenen erstellte Einsatzpläne, die den Verbrechern ausgezeichnet passten: Wenn sie arbeiteten, hatten die Polizisten frei. Während Hunderte von Beamten abkommandiert wurden, um sich Fußballspiele anzusehen, wurden Wachen in dünn besiedelten Gebieten geschlossen und durch Anrufbeantworter ersetzt. Neue Arbeitsmethoden zur Verbrechensbekämpfung waren zwar bekannt, wurden jedoch nicht angewendet, da sich eine allgemeine Gleichgültigkeit breitgemacht hatte. Hinzu kam, dass sich die Justiz nach Krawallen von Autonomen in Göteborg politischer Einflussnahme ausgesetzt sah. Der schwedische Schutzmann wurde nirgendwo mehr mit Jubel begrüßt.
Die Polizei in Västerås war weder besser noch schlechter als andernorts. Überdies hatte sie genügend eigene Probleme: Die Ermittlungen des vergangenen Jahres im Mordfall Annika Lilja und Jamal Al-Sharif hatte ihr Selbstbild verändert. Es war nicht hübscher geworden.
Trotz alledem musste Egon Jönsson versuchen, den Betrieb in Gang zu halten. Da er vor allem wegen langer und treuer Dienste und weniger wegen seiner Eignung zum Nachfolger des geschätzten Oskar Kärnlund als Chef des Dezernats auserkoren worden war, hatte er zu kämpfen. Seine Gefühle für Elina Wiik waren ebenso warm wie eine sibirische Winternacht.
In der ersten Zeit als Chef hatte er sich Elina gegenüber versöhnlicher gezeigt, obwohl er sich insgeheim vermutlich wünschte, sie möge vom Erdboden oder zumindest aus Västerås und Umgebung verschwinden. Sie wusste, dass er sie nie akzeptieren würde. Der Konflikt hatte vor drei Jahren mit einer Brandstiftung in Surahammar begonnen und hatte mittlerweile viel zu große Ausmaße angenommen. Sie vermutete, dass er bisher nur deshalb einen Bogen um sie herum machte, weil er nicht richtig wusste, wie er seine neue Verantwortung handhaben sollte. Vielleicht handelte es sich auch nur um Rücksichtnahme, weil sie gegen Ende ihres letzten Mordfalles Morddrohungen erhalten hatte.
Aber diese Neutralität verringerte sich stetig, und seine knappe, abweisende Haltung kehrte zurück. Vielleicht weil sie zu wenig auf ihn einging. Sie hatte ihren Entschluss gefasst und sich vorgenommen, sich ihm gegenüber professionell zu verhalten, wie eine Angestellte eben, die unter einem Chef arbeiten muss, den sie sich nicht selbst ausgesucht hat. Nicht mehr und nicht weniger. Sie erwartete von ihm, dass er sich ebenso verhielt. In der Verfassung, in der sie sich im Frühjahr befunden hatte, hatte es keinen Platz für good vibrations Jönsson gegenüber gegeben. Wenn er das persönlich nahm, war das sein Problem und nicht ihres.
Mit Rosén war es anders. Ermittelten sie in einem Mordfall, war er ihr operativer Chef, in den Zwischenphasen waren sie Kollegen. Vom ersten Tag an hatten sie sich gut verstanden. Vielleicht weil er ihr gestattete, ihren eigenen Weg zu gehen, und weil sie seine Integrität respektierte. Sie kannte seine Motivation. Sie war die einzige im Präsidium, die von seiner Abstammung von einer Sintifamilie wusste. Sie wusste, wie schwer und wohldurchdacht seine Entscheidung gewesen war, Polizist zu werden.
Jönsson eröffnete die Sitzung mit einer Personalangelegenheit, und ließ anschließend alle referieren, wie weit sie mit ihren laufenden Ermittlungen gekommen waren. Als Letzte war Elina an der Reihe.
»Von dir haben wir in letzter Zeit nicht sonderlich viele Ergebnisse gesehen, Wiik«, bemerkte er.
Sie zuckte zusammen und schaute auf. Alle am Tisch waren verstummt.
»Wir haben ständig zu wenig Leute«, fuhr Jönsson fort. »Jeder muss seinen Teil der Akten bewältigen. Auch wenn die keine Schlagzeilen einbringen.«
So läuft das also, dachte Elina und spürte, wie sie zu
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