Der Sonntagsmann
Lastwagen. Der Regen der letzten Tage hatte aufgehört, aber es war immer noch bewölkt. Elina sehnte sich nach Sonne und etwas Wärme, um ein letztes Mal, bevor der richtige Herbst kam, das Verdeck ihres schwarzen Saab 9-3 aufklappen zu können. Jeden Monat opferte sie 2000 Kronen, um ihr Cabrio abzubezahlen.
Ehe sie nach Uppsala gefahren war, hatte sie noch einmal am Präsidium gehalten. Trotz der frühen Stunde war John Rosén schon zur Stelle gewesen. Als sie ihr bevorstehendes Treffen mit Ylva Malmbergs Bruder Roger in der Salabacksgatan in Uppsala erwähnt hatte, hatte Rosén erzählt, er kenne die Adresse. Verwandte von ihm hätten in der Vaksalagatan ganz in der Nähe gewohnt, und er habe sie als Kind besucht.
»Fahrendes Volk?«, hatte ihn Elina gefragt.
»Was sonst?«, hatte Rosén geantwortet und ihr den Weg beschrieben. »In diesen Bruchbuden am Ende der Vaksalagatan mussten die Zigeuner hausen. Alle wussten, wer sie waren. Damals war das der Stadtrand. Jetzt sind diese Häuser schon lange abgerissen und meine Verwandten sind weggezogen oder gestorben.«
Das Mehrfamilienhaus, in dem Roger Malmberg wohnte, besaß einen spitzen Giebel und wirkte frisch renoviert. Zwischen den Häusern lagen große Grünflächen. Die Stimmung und die Stille versetzten Elina in ihre Kindheit zurück. In ihrer Phantasie sah sie Ylva vor sich, ein Mädchen, das mit anderen Mädchen vor vierzig Jahren auf dem Hof Seil gesprungen war.
Roger Malmberg wohnte im zweiten Stock. Er öffnete wenige Sekunden nach ihrem Klingeln, als hätte er hinter der Tür gestanden und gewartet. Er hatte schütteres Haar und war nicht sonderlich groß. Elina wusste, dass er 52 Jahre alt war, sie wusste jedoch nicht, ob er verheiratet war und wo er arbeitete. Sie trat in eine kleine Diele. Die Wohnung wirkte perfekt aufgeräumt.
Roger Malmberg hatte Kaffeetassen auf den Tisch gestellt. Dieses Ritual war so normal, dass Elina erstaunt war, wenn ihr einmal kein Kaffee angeboten wurde. Vermutlich wollten sich die Vernommenen damit beweisen, dass von der Polizei keine Bedrohung ausging. Sie lehnte dankend ab, als er sie fragte, ob sie ein Butterbrot wollte. Sie wollte sich nicht mit vollem Mund unterhalten.
»Ich wohne schon fast mein ganzes Leben lang hier«, begann Roger Malmberg, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Mit Ausnahme der allerersten Jahre. Wir sind 1954 hierher gezogen, in dem Jahr, in dem Ylva zur Welt kam. Es ist seltsam, wie wenig sich verändert hat. Fast so, als wäre die Zeit stehen geblieben.«
Er stand auf und deutete aus dem Fenster.
»Da draußen liegt Arken, die Arche. Ein Gemeindezentrum mit einer Bühne. In meiner Kindheit wurden dort Filme gezeigt. Außerdem fanden dort Tischtenniswettkämpfe statt. Da sieht es immer noch genauso aus. An der Ecke etwas weiter weg gibt es eine kleine Fahrradwerkstatt und einen Lebensmittelladen. Mir ist schleierhaft, wie die über die Runden kommen. Mitte der Sechzigerjahre habe ich die Hep Stars, die Mascots, die Maniacs und Downliner Sect erlebt, bei Schulpartys oder in der Aula der Branting-Schule hier den Berg runter. Ich denke oft daran, wenn ich an der Schule vorbeikomme. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre das erst gestern gewesen.«
»Haben Sie die Wohnung von Ihrer Mutter übernommen?«, fragte Elina.
»Ja. Papa ist nach der Scheidung ausgezogen, und wir sind wohnen geblieben, also Mama, Ylva und ich. Als ich Anfang der Siebziger mit einer Frau, die Monica hieß, zusammen war und sie heiraten wollte, erbot sich meine Mutter auszuziehen. Ylva war kurz vorher in eine Kommune außerhalb der Stadt gezogen. Monica und ich haben die Wohnung dann übernommen, aber jetzt sind wir seit vielen Jahren geschieden. Wahrscheinlich waren wir zu jung, um eine feste Bindung einzugehen. Wir waren erst zwanzig.«
Langsam rührte er in seiner Kaffeetasse. Er schien seinen Erinnerungen nachzuhängen. Elina überlegte, ob Monica wohl die erste und letzte Frau in seinem Leben gewesen war. Aber statt zu fragen, wechselte sie das Thema.
»Ich bin froh, dass Sie sich heute freinehmen konnten«, sagte sie, um herauszufinden, was er für eine Arbeit hatte, ehe sie nach Ylva fragte.
»Ich bin Buchprüfer«, erwiderte er, als hätte er verstanden, worauf sie hinauswollte. »Ich habe eine eigene Firma mit zwei Angestellten. Heute Vormittag kommen sie allein zurecht.«
»Mir wäre es sehr recht, wenn Sie ein bisschen von Ylva erzählen würden.«
»Womit soll ich anfangen?«
»Mit ihrer
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