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Der Sonntagsmann

Der Sonntagsmann

Titel: Der Sonntagsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kanger
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Kindheit. Sie sind schließlich ihr älterer Bruder, Sie müssen sich doch an einiges erinnern. Aber über eine Sache habe ich nachgedacht, und danach möchte ich Sie doch zuerst fragen. Anfang Juni 1979 ist Ylva nach Jäkkvik gezogen. Dort wurde sie fast ein Jahr später tot aufgefunden. Sie hatte ihr Neugeborenes mitgenommen. Trotzdem hatte sie niemand suchen lassen oder herauszufinden versucht, wo sie steckte. Haben Sie oder Ihre Mutter sich nie gefragt, was ihr zugestoßen sein könnte, als sie nichts mehr von sich hören ließ?«
    »Ich hatte Jäkkvik irgendwie im Hinterkopf. Im Frühjahr hatte sie mich angerufen und mich gefragt, ob ich glaubte, dass man in Großmutters Häuschen wohnen konnte. Ich habe anschließend nicht mehr so viel daran gedacht. Seit sie von zu Hause ausgezogen war, hatten wir nicht mehr viel Kontakt. Dass sie nichts von sich hören ließ, war also nicht so seltsam.«
    »Und Ihre Mutter? Wollte sie ihr Enkelkind nicht sehen?«
    »Sie wusste nicht, dass es existierte.«
    Elina fragte sich einen Augenblick lang, ob sie richtig gehört hatte.
    »Wusste sie das nicht? Aber bei der Vernehmung hat sie ausgesagt, dass sie Ylva nach der Geburt in Västerås besucht hat und dass das Mädchen so ausgesehen hat wie Ylva als Kind.«
    Roger Malmberg trank einen Schluck Kaffee. Er ließ sich mit der Antwort Zeit.
    »Sie schämte sich«, sagte er, »weil sie nicht wusste, dass sie eine Enkeltochter hatte. Ylva hatte nichts erzählt und sie auch kein einziges Mal besucht, seit sie schwanger geworden war. Ich hatte Mama erzählt, dass Ylva ein Kind bekommen hatte, und ich hatte das wiederum telefonisch von der Polizei erfahren, nachdem man Ylvas Leiche gefunden hatte.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Dieses Telefongespräch werde ich nie vergessen. Erst sagte der Beamte, Ylva sei ermordet worden, und dann ganz nebenbei etwas wie ›leider haben wir das Kind nicht gefunden‹. Ich habe gar nicht begriffen, was er meinte, und habe natürlich nachgefragt. So habe ich alles erfahren. Wann das Mädchen auf die Welt gekommen und dass der Vater unbekannt war. Dann bin ich zu Mama nach Hause gefahren und habe ihr alles erzählt. Zuerst, dass Ylva tot war. Sie war natürlich vollkommen schockiert. Als ich dann Ylvas Kind erwähnte, begriff sie erst gar nicht, wovon ich sprach. Als die Polizisten sie ein paar Tage später verhört haben, behauptete sie, sie hätte gewusst, dass es das Kind gibt, aber dass Ylva das hätte geheim halten wollen. Deswegen hätte sie es nicht einmal mir erzählt.«
    »Aus dem Vernehmungsprotokoll geht hervor, dass man Sie nach Ylvas Verhältnis zu ihrer Mutter befragt hat. Aber davon haben Sie gar nichts gesagt. Warum nicht?«
    »Wegen Mutter. Sie hat mich förmlich auf den Knien angefleht. Ich dachte, dass es wohl keine große Rolle spielt, wenn wir … wenn wir in diesem Punkt etwas großzügiger sind. Ich weiß, das klingt vollkommen abwegig, aber für Mama war es damals fast wichtiger als alles andere.«
    Elina lehnte sich auf ihrem Küchenstuhl zurück. Was Roger ihr erzählte, klang völlig aberwitzig. Was hatte die Familie zu verbergen? Hatte diese Lebenslüge irgendeine Bedeutung für den Mord? Rasch versuchte sie sich in die Lage der Mutter hineinzuversetzen. Die Tochter wird tot aufgefunden, und gleichzeitig erfährt sie, dass sie eine Enkeltochter hat, die verschwunden ist. Ließ sich ihre Reaktion durch den Schock erklären? Elina fand das alles sehr verwirrend.
    Roger Malmberg unterbrach ihre Überlegungen.
    »Ich kann verstehen, dass Sie unser Verhalten merkwürdig finden. Aber Mama hat die Scheidung nie überwunden, und zwar nicht so sehr, weil sie Papa geliebt hat, ich weiß nicht einmal, ob das überhaupt je der Fall gewesen ist, sondern weil sie stets den Schein wahren wollte. Wir waren die perfekte kleine Familie. Alles sollte immer ganz wunderbar sein. Doch dann hat er sie verlassen. Allen anderen gegenüber hat sie behauptet, die Trennung sei einvernehmlich und das Beste für die Kinder gewesen. Sie hat eine Welt aus Lügen um sich herum gebaut. Sie konnte einfach nicht zugeben, nichts von ihrer Enkelin gewusst zu haben. Dann hätte sie Ylva ein weiteres Mal verloren, nicht nur in ihren Augen, sondern auch in denen aller anderen.«
    Zwei Gespräche, dachte Elina. Im ersten habe ich erfahren, dass Ylva Hasch geraucht hat. Und jetzt das. Zwei Informationen, die nicht in den Akten auftauchen. Die Menschen meiden die Wahrheit, um sich selbst zu schützen. Was werde ich

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