Der Sonntagsmann
wohl noch alles herausfinden?
»Hat Ylva noch mehr über das Häuschen in Jäkkvik gesagt?«, fragte Elina.
»Nein. Aber Ylva war rastlos. Wir waren vollkommen unterschiedlich, sie und ich. Ich hatte den wirtschaftlichen Zweig des Gymnasiums gewählt, bin Buchprüfer geworden und habe geheiratet. Ich glaube nicht, dass ich jemals etwas Überraschendes getan habe. Sie hingegen war wie ein Schmetterling im Wind.«
»Erzählen Sie von ihr.«
Roger Malmberg drehte sich um und nahm die Kaffeekanne von der Arbeitsplatte. Elina schüttelte den Kopf, als er sie ihr vor die Nase hielt.
»Als Kind denkt man nicht so viel darüber nach, wie man ist. Man ist einfach, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, habe ich mir also erst viel später zusammengereimt. Ich erinnere mich, dass sie mal 15 Kronen aus meiner Hosentasche genommen und für das Geld Süßigkeiten gekauft hat. Das war damals viel Geld. Sie muss etwa zehn gewesen sein. Dann hat sie die Süßigkeiten mit zwei Mädchen aus ihrer Klasse geteilt, die hier gewohnt haben.«
Er deutete aus dem Fenster.
»Die eine wohnte dort, schräg gegenüber.«
Elina betrachtete das Haus gegenüber, als könnte die Mitschülerin jeden Augenblick in einem der Fenster auftauchen.
»Sie tat das, weil sie mit den beiden Zusammensein wollte. Ich wurde natürlich wütend, und sie hat geheult. Aber im Nachhinein … sie hatte es vermutlich nicht leicht. Sie tat alles, um akzeptiert zu werden. So war es die ganze Zeit mit ihr. Kleine Unwahrheiten, Klauen, um zu beweisen, wie taff man ist, und Schuleschwänzen, wenn die anderen das taten. Und Mama konnte nie zugeben, dass es irgendein Problem gab, wenn ein Lehrer hier anrief. Papa war das egal, er hat sich zu der Zeit immer mehr von uns entfernt.«
»Und Sie?«, fragte Elina.
»Ich habe Eishockey gespielt. Durch das Training lernte man Disziplin und kam auf andere Gedanken. Außerdem war ich wie gesagt anders als sie, ich kam allein zurecht. Aber um Ylva hat sich niemand gekümmert. Als Papa und Mama sich 1968 scheiden ließen, war sie vierzehn. Sie hatte sich vorher schon nichts sagen lassen, aber da konnte man sie überhaupt nicht mehr kontrollieren. Sie war bis spätabends unterwegs, übergab sich oft auf dem Klo, wenn sie nach Hause kam, und fing sofort zu schreien an, wenn man etwas sagte. Das war ein richtiger Zirkus. Erst als die Schule damit drohte, sie in die Sonderklasse zu verweisen, nahm sie sich etwas zusammen. Dort wollte sie um keinen Preis landen, bei den Idioten, wie sie sich ausdrückte. Vermutlich war ihr klar, dass sie dann mit ihren Mitschülern noch größere Probleme bekommen würde.«
Er erhob sich, ging ins Wohnzimmer und kehrte mit einem Foto in der Hand zurück. Ein Mädchengesicht. Ylva mit blass geschminkten Lippen und langem, glatten Haar.
»Dieses Foto wurde an ihrem fünfzehnten Geburtstag aufgenommen. Das war im Herbst 1969. Später hat sie einen Platz an einem zweijährigen Zweig auf dem Gymnasium bekommen, hat aber im zweiten Jahr aufgehört. Sie hatte einen Typen kennen gelernt und zog raus zu ihm in diese Kommune. Ich glaube, das war im Frühjahr 1972. Ich versuchte sie dazu zu überreden, zumindest die Schule fertigzumachen, aber sie weigerte sich. Sie wollte lieber im Schneidersitz bei diesen Weltfremden herumsitzen. Ich war mal da, nur einmal, weil ich es nicht ausgehalten habe. Da hat es wirklich furchtbar ausgesehen. Statt Betten lagen Matratzen auf dem Fußboden, die Möbel waren vermutlich von der Müllkippe, ungespültes Geschirr überall. Sie wollten Selbstversorger sein und haben eigenes Gemüse angebaut, aber keiner von ihnen hat gewusst, wie das geht. Und dann war sie mit diesem Typen zusammen, ich glaube, er hieß Bernt, das war so ein Stoffel, dass es für Zwei gereicht hätte.«
»Wurde dort draußen Hasch geraucht?«
»Ich weiß nicht, aber es würde mich wundern, wenn sie es nicht getan hätten.«
»Ihr Typ, wie hat er sie behandelt? Er war immerhin ein gutes Stück älter.«
»Ich hatte den Eindruck, dass er sie herumkommandiert. Er war immer so von oben herab. Ich meine jedenfalls, mich daran zu erinnern. Das war so einer, der immer von Gleichberechtigung und Gerechtigkeit redete, aber jedes Mal, wenn es darauf ankam, alle unterbutterte. Große Schnauze, nichts dahinter. Sie schien das nicht zu begreifen, dass er ein Arsch war. Und ist darauf reingefallen.«
»Haben Sie sich hier mit ihr getroffen?«
»Wir haben uns fast ganz aus den Augen
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