Der Sonntagsmann
dich.«
»Ein Pflegesohn. Das ist ja fast wie …« Kari beendete den Satz nicht. »Ich würde ihn gern kennen lernen.«
»Ein Freund von meinem Vater war Pflegesohn bei einer Familie auf dem Land. Diese Familie hatte noch einen anderen Jungen, der auf die schiefe Bahn geriet. Vielleicht gibt es ja auch hier noch mehrere?«
»Mehrere Pflegekinder? Vielleicht sogar eine Pflegetochter?«
»Warum nicht?«
Kari betrachtete das Foto erneut. Leif Oskar war ein großer Junge, er schien nicht älter als sechzehn oder siebzehn zu sein. Auf dem Schwarzweißfoto wirkte er blond. Er war schlank und nicht sonderlich groß.
Kari las weitere Artikel und hoffte, auf andere Fotos von Leif Oskar zu stoßen, die eventuell sogar mit seinem Nachnamen versehen waren.
»Schau mal«, sagte Kari und reichte Robert einen anderen Artikel. Dasselbe Fischerboot war zu sehen. An Deck standen zwei Männer.
»Johannes«, sagte Robert. »Er arbeitete für Reidar. 1975.«
»Vielleicht weiß er, wer Leif Oskar ist«, meinte Kari.
»Vorausgesetzt, er will reden.«
Kari war zuversichtlich, als sie Svolvsær verließen. Sie hatten keine weiteren Informationen über den Pflegesohn finden können. Aber trotzdem kam es ihr vor, als hätte sie einen entfernten Verwandten entdeckt.
33. KAPITEL
Die erste Person, der Elina am Morgen des 20. September im Präsidium begegnete, war John Rosén. Er bat sie, ihm in sein Zimmer zu folgen. Er wirkte betrübt. Beide waren erleichtert, weil es ihnen erspart blieb, sich so früh an diesem Morgen mit anderen zu unterhalten.
»Die Beerdigung findet in zwei Wochen statt«, sagte Rosén.
»Wie war’s?«, fragte Elina.
»Mama geht es recht gut. Das ist das Wichtigste.«
»Und dir?«
»Zu mir war er immer nett. So werde ich ihn auch in Erinnerung behalten. Welche anderen Spuren er in mir hinterlassen hat, weiß ich noch nicht so recht. Ich brauche mehr Zeit. Es ist nicht leicht, ein ganzes Leben auf einen Nenner zu bringen.«
»John«, sagte Elina. »Es ist hier einiges vorgefallen, während du weg warst. Das betrifft auch dich. Willst du, dass ich dir jetzt davon erzähle?«
John Rosén nickte, und Elina erzählte, jedes Detail, jeden Schritt. Dass sie sich für ein Machtspiel missbraucht gefühlt und welche Konsequenzen sie daraus gezogen hatte. Dass sie sich entschieden hatte, dem Konflikt mit Jönsson vorerst auszuweichen. Dann dankte sie Rosén für seine Loyalität.
»Ich finde jedoch, dass du der Chef der Mordgruppe bleiben solltest«, sagte sie. »Obwohl es mir widerstrebt, das zuzugeben, war Jönssons Verärgerung über mich dieses Mal nicht unberechtigt.«
»Nein«, erwiderte Rosén. »Das stimmt nicht. Oft ist es unklug, sich querzustellen, aber klein beizugeben, wie du es jetzt tust, ist auch keine gute Idee. Es herrschen neue Zeiten. Der alte Kommandostil ist out. Ein Chef muss akzeptieren, dass nicht alle Untergebenen aus einem Guss sind. Du hattest Recht.«
»Ich habe mich bereits damit abgefunden, die Mordgruppe zu verlassen. Es ist zu spät, diesen Streit noch einmal aufzurollen.«
»Wie viel Zeit hat er dir für den Fall eingeräumt?«
»Eineinhalb Wochen.«
»Dann warte ich mit meiner Entscheidung ab und schiebe das auf die Beerdigung.«
Elina öffnete den Mund, aber Rosén hob die Hand.
»Keine Widerrede«, meinte er. »Danach sehen wir weiter.«
Gegen Mittag waren sieben Antworten von verschiedenen Polizeibezirken eingetroffen. Die arbeiten wirklich schnell, dachte Elina. Ihre dringende Bitte um rasche Bearbeitung hatte offenbar Wirkung gezeigt. Sie öffnete die siebte und neueste Mail und hoffte, dass sie etwas von Interesse enthielt. Sie war jedoch genauso belanglos wie die sechs anderen. Die Person, nach der sie gefragt hatte, »erscheint in keiner archivierten Ermittlungsakte als tatverdächtig«.
Am Nachmittag trafen weitere Antworten ein. Keine von ihnen ergab irgendeine Spur. Gegen zwei Uhr begann Elinas Hoffnung sachte zu schwinden. Bald würde ihr Scheitern eine vollendete Tatsache sein, und neue Ideen hatte sie keine. Ein Klingeln verkündete, dass eine weitere Antwort in ihrem Computer eingetroffen war und kurz darauf noch eine. In der ersten stand, dass Petter K. nach dem sie sich erkundigt hatte, im November 1992 wegen Steuerhinterziehung belangt worden war. Elina schaute auf ihrer Liste nach. Petter K. war einer von Ylvas Liebhabern gewesen. Elina meinte sich zu erinnern, dass er mit zwei Sternen bedacht worden war. Steuerhinterziehung … sie
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