Der Sonntagsmann
Er wollte ihr immer nur Gutes tun. Natürlich wusste sie, dass er sich in sie verliebt hatte. Sie hatte nur so getan, als würde sie das nicht merken. Sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich richtig um ihn zu kümmern. Aber am Vorabend hatten sie sich an der Hand gehalten. Das war gut gewesen.
Sie reckte sich. Robert lag im Stockbett über ihr und schlief noch. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Zwanzig vor elf. Die weichen Betten hatten ihnen einen tiefen Kinderschlaf beschert. Sie stand auf und merkte, dass sie hungrig war. Sie weckte Robert. Es war Zeit, sich fertig zu machen. Dann konnten sie zu ihrem Zelt zurückfahren und anschließend … Kari merkte, wie ihre Unruhe zurückkehrte. Knut Niklas Einarsen. Ob er ihr wohl ähnlich sah?
Der Wind hatte zugenommen, und als Kari und Robert bei ihrem Zelt aus dem Auto stiegen, begannen die Kirchenglocken zu läuten. Eine Hochzeit? Eine Beerdigung? Aus der Entfernung sah Kari ein paar Dorfbewohner in die Kirche gehen. Auf dem Kiesplatz davor standen drei Autos. Sie selbst war nie in die Kirche gegangen. Sie glaubte nicht an Gott. Es fiel ihr schon schwer genug, an sich selbst zu glauben.
»Ich muss noch schnell den Vergaser einstellen«, sagte Robert und verschwand unter der Kühlerhaube.
Kari ging los. Ihr blondes Haar flatterte im Wind. Das Zelt besaß ein gelbes Dach und blaue Wände. Ihr kam es vor, als sähe es anders aus, und sie überlegte, ob der Wind es wohl eingerissen hätte. Auf halbem Weg zögerte sie. Das Dach … war irgendwie verkehrt.
Stirnrunzelnd ging sie weiter, machte die letzten Schritte. Im Zeltdach war ein langer Riss, mindestens einen Meter lang. Er war ganz gleichmäßig. Als hätte jemand das Dach mit einem Messer aufgeschlitzt. Sie betastete die Kante und sah sich um. Niemand war zu sehen, nur Robert unter der Kühlerhaube. Sie machte kehrt, hastete zurück und stolperte dabei über ihre eigenen Füße.
Eine Stunde später stand der Polizist vor dem Zelt. Der Beamte mit dem kurzgeschnittenen Haar, der die Ermittlungsakte über Kari besorgt hatte.
»Sieht so aus, als hätte sich hier jemand mit einem Messer zu schaffen gemacht«, stellte er fest. »Habt ihr eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«
»Nein«, erwiderte Robert. Kari schwieg. Was sollte sie auch sagen? Dass sie in der dunklen Nacht jemanden gesehen hatte? Aber wen?
»Wann ist das passiert?«
»Wir haben heute in der Jugendherberge in Svolvsær übernachtet«, erwiderte Robert. »Wir wissen es also nicht. Aber gestern Vormittag war das Zelt noch heil.«
»Irgendwann vergangene Nacht also. Oder heute früh.«
Der Polizist notierte sich etwas auf einem Block. »Vorläufig handelt es sich hierbei nur um Sachbeschädigung. Falls ihr nicht glaubt, dass mehr dahinter steckt.«
Kari schauderte es.
»Hat euch jemand bedroht?«
Robert schüttelte den Kopf.
Der Polizeibeamte sah Robert durchdringend an. »Vor ein paar Tagen wurde im Büro der Sozialbehörde eingebrochen. Ein Fenster ist aufgebrochen worden. Die Angestellten konnten aber nicht feststellen, dass etwas gestohlen worden war. Recht seltsam, nicht wahr?«
»Ja …« Robert schaute an dem Polizisten vorbei auf das Zelt.
»Wissen Sie vielleicht etwas darüber?«
»Nein. Keine Ahnung.«
»Nicht?« Er klappte seinen Block zu. »Ich nehme die Anzeige wegen Sachbeschädigung auf. Kommen Sie doch morgen zum Unterschreiben vorbei. Dann wollen wir hoffen, dass sich hier keine weiteren unerklärlichen Vorfälle ereignen.«
Robert sah dem Polizeiauto hinterher, das Richtung Ramberg auf die Landstraße einbog.
»Warum?« Kari sah Robert flehend an. Sie wünschte, er würde ihr erklären, was geschehen war und alles mit ein paar Worten wieder in Ordnung bringen.
»Wir müssen das Zelt abbauen«, sagte er und öffnete den Reißverschluss, damit sie die Luftmatratzen und Schlafsäcke herausholen konnten. Dann zog er die Heringe aus der Erde und zerlegte die Zeltstangen. Kari stand neben ihm und sah zu. Robert verstaute die Sachen im Kofferraum.
»Und wenn der Täter geglaubt hat, wir hätten im Zelt gelegen?«, meinte Kari.
Sie schaute sich um. Vereinzelte Autos auf der Landstraße, sonst war keine Menschenseele zu sehen. Der Berg warf seinen Schatten auf das Dorf. Der Wind hatte zugenommen.
»Ich will wieder nach Hause fahren«, sagte sie.
»Sollen wir nicht vorher die beiden Pflegesöhne ausfindig machen?«
Kari betrachtete das Zelt im Kofferraum. »Und wenn das jetzt irgendwie alles
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