Der Sonntagsmann
wiedererkennen.«
Der Mann blätterte langsam und schweigend. Elinas Herz schlug schneller, als er zum Bild des Lehrerkollegiums kam. Enttäuscht sah sie, dass er weiterblätterte, ohne zu reagieren.
»Nein«, sagte er schließlich. »Ich erkenne niemanden wieder.«
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir den Mann, der immer sonntags kam, zeigen könnten«, sagte Elina.
»Wie gesagt, habe ich ihn nur von oben gesehen, und gelegentlich vielleicht auch von hinten. Ich hatte den Eindruck, dass er etwas älter war als sie, aber das ist alles, was ich sagen kann. Er kam immer um die gleiche Zeit und ging nach ein oder zwei Stunden. Jedesmal dasselbe.«
Elina nahm die Broschüre wieder an sich und schüttelte dem Mann die Hand. »Trotzdem vielen Dank«, sagte sie.
»Möchten Sie nicht eine Tasse Kaffee trinken?«
Elina lächelte den Mann an. »Ich habe leider keine Zeit.«
Sie warf einen raschen Blick auf die Tür der Nachbarwohnung, ging dann die Treppe hinunter und setzte sich in ihr Auto. Sie legte gerade den Sicherheitsgurt an, als ihr noch etwas einfiel. »Was hat er da gesagt?«, fragte sie laut. Sie stellte den Motor ab und ging wieder zu dem Mann hoch.
»Wollen Sie doch eine Tasse?«, sagte er strahlend.
»Nein danke, aber ich muss Sie noch etwas fragen.«
»Und zwar?«
»Sie sagten doch, er sei sonntags immer zur selben Zeit gekommen und dann nach ein oder zwei Stunden wieder gegangen.«
»Ja, das stimmt.«
»Er ist gegangen. Dass er die Treppe benutzt haben muss, ist mir klar, aber dann? Ist er zu Fuß gegangen, oder hatte er ein Auto?«
»Ich glaube, er war zu Fuß unterwegs. Ich kann mich jedenfalls nicht an ein Auto erinnern.«
»Haben Sie gesehen, in welche Richtung er ging?«
»Jetzt, wo Sie es sagen … er kam von der Malmabergsgatan, da bin ich mir sicher, und dann verschwand er auch wieder in diese Richtung. Einmal war ich hinterm Haus …« Der Mann deutete mit dem Daumen über die Schulter. »… und sah, wie er von hier wegging. Er überquerte die Malmabergsgatan und ging zum Hof der Korsängsskola. Das fiel mir auf, denn es war im Sommer, und es waren Schulferien. Außerdem war ja Sonntag. Es war immer Sonntag, wenn dieser Mann kam.«
»Könnte er nicht auf dem Schulhof geparkt haben? Was meinen Sie?«
»Da bin ich wirklich überfragt.«
»Trotzdem vielen Dank.«
Eine Viertelstunde später war sie zu Hause. Sie zog ihre Schuhe aus und nahm ein Paket mit Fischgratin aus dem Gefrierschrank. Zu mehr war sie nicht imstande nach einer schlechten Nacht und fast zehn Stunden im Auto. Aber der Fall ging ihr nicht aus dem Sinn. Was würde geschehen, wenn sie Ulf Nyman mit ihren Erkenntnissen konfrontierte? Die Vaterschaft von Mary Makondele konnte er nicht abstreiten, aber was war damit schon gewonnen? Er konnte auch die verbale Gewalt gegen Lisbet Johansson und Grace Makondele nicht abstreiten. Aber diese Umstände machten ihn noch lange nicht zu einem Mordverdächtigen im Sinne des Gesetzes.
Die Zeit wurde immer knapper. Sie musste rasche Beschlüsse fassen und durfte keine Risiken eingehen. Sie musste ihn aus dem Gleichgewicht bringen, ihn dazu bringen, Dinge preiszugeben, die er sonst vielleicht nicht gesagt hätte.
Sie ließ sich auf ihr Sofa sinken. Hatte sie Wein im Haus? Ganz unten in der Speisekammer stand Kartonwein, Weißer, halbvoll. Sie füllte ein Glas und trank die Hälfte, ohne abzusetzen. Da huschte ein Gedanke vorbei. So schnell, dass sie ihn nicht fangen konnte. Im selben Moment, in dem er aufgetaucht war, war er auch schon wieder verschwunden. Etwas, was sie übersehen hatte oder hätte begreifen müssen?
Sie schlug die Stirn leicht gegen die Tür der Speisekammer. Sie wusste, dass da etwas war, etwas Wichtiges, aber sie wusste auch, wie langsam sie in der Regel war. Ihre Ahnungen nahmen häufig erst nach Wochen Gestalt an. So viel Zeit hatte sie jetzt nicht. Sie wusste auch, dass sie die Einsicht nicht erzwingen konnte. Sie musste sich freiwillig zeigen.
Die Mikrowelle piepste. Das Gratin war heiß. Sie füllte das Glas erneut und setzte sich aufs Sofa.
Eine Stunde später war sie vor einem schlechten Fernsehfilm eingeschlafen.
42. KAPITEL
Kari wusste zuerst nicht, wo sie war. Dann erinnerte sie sich. In der Jugendherberge. Sie waren spät ins Bett gekommen. Sie hatten am Abend zuvor viel zu viel Geld ausgegeben, aber es ging ihr so gut wie schon lange nicht mehr. Und Robert … er war so schüchtern. Vermutlich war er der netteste Mensch, dem sie je begegnet war.
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