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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Wüstenpflanzen warten klug ab. Ein kurzes Besprenkeln bringt sie nicht in Versuchung, ihre Schalen zu sprengen; erst eine Säure aufrührende Überflutung löst sie auf. Und dann ist die Wüste mit einem Teppich von Primeln und Mohn und Malven und Zinnien bedeckt, und das winzige Gänseblümchen und der Wüsten-Fünffleck und die Sandmyrte und die Felslevkoje vertrauen ihre zierlichen Blütenblätter der heißen Sonne an, und die Mariposalilie hängt ihren Erinnerungen nach, und die klebrige Yucca-Blüte lockt die Yucca-Motte an, und die zur Nachtzeit blühende Fackeldistel die brüderliche Mondfackel, und der winzige rote Becherkaktus hält seine Becher zum Trinken empor. Und wenn der König der Wüste stirbt – wenn der große Kandelaberkaktus stirbt –, hinterläßt er ein Skelett wie ein Mensch, und das weiche Fleisch fällt von den holzigen Rippen ab, die seine fünfzehn Tonnen Würde trugen.
    Was lehrt uns diese unverzagt verschwenderische Fülle? Die Lektion ergibt sich von selbst. Lebt. Lebt, lieben Brüder, auch wenn eurem Leben hinfort nichts als Beschämung und Versagen beschieden ist. Denen unter euch, die ihre Stellung verloren haben, sage ich, daß die Zwergeule sich eine Heimstatt im Fruchtfleisch des Kandelaberkaktus bereitet. Denjenigen, die noch unter der erbarmungslosen Knute jüngst geschehener Ereignisse stehen, sage ich, daß der Steppenwolf das Tagesende im Schatten abwartet. Und denen unter euch, die keinen Glauben in sich finden, sage ich: kein Samenkorn ist so ausgedörrt, daß es nicht den Code des Lebens in sich enthielte, und es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt’s allein; wo es aber erstirbet, so bringt’s viel Früchte. Selig, selig sind, die da geistig arm sind.
    Brüder, wir sind in eine Enge geraten. Verhalten wir uns denn wie der Leguan, der, wenn er bedroht wird, freiwillig an einen engen Ort läuft, zu einem Spalt im glühenden Wüstenfelsen hin. Dort angekommen, verkriecht er sich etwa beschämt? Nein! Er bläst sich auf, pumpt sich zu mehr als dem Anderthalbfachen seiner normalen Größe auf und füllt den Spalt aus, wie die lebendige Seele den lebendigen Körper ausfüllt, und kann dort nicht vertrieben werden, durch keines Feindes Fangzähne oder Krallen.
    Wir sind an einem Wüstenort.
    Wir sind Gottes Handteller.
    Wir sind Sein Augapfel.
    Lasset uns hier dankbar sein und uns hier freuen. Amen.

21
    Ist da nicht eine auffällige weiße Stelle, wie durch Radieren entstanden, in dem unbeschriebenen Raum unter dem Schluß meiner gestrigen Predigt? Und gewahre ich nicht, wenn ich den verdächtigen Fleck gegen das Licht halte, den schwachen linearen Eindruck eines mit Bleistift geschriebenen Wortes? Da scheint, in steifer Schülerschrift geschrieben, ein großes «N» zu stehen – war es vielleicht das Wort «Nett»? Bist etwa du es gewesen, idealer Leser? Und wenn es das Wort «Nett» war, warum dann das häßliche Radieren, das nachträgliche Zurücknehmen, das knauserige Indianergeschenk? Doch gesegnet seist du, wer immer du bist, falls du bist, für dieses wenn auch noch so zaghafte Eindringen in den Solipsismus auf diesen Seiten, für diesen blassen Fleck, der noch fahler ist als die andere Galaxie, die mit dem bloßen Auge im Sternbild der Andromeda flirtet.
     
    Heute vor drei Wochen wurde ich an Bord des Silbervogels, des «feurigen Wagens», der mich hierherbrachte, geleitet – von einer kleinen windzerzausten Schar: Jane, meinen beiden Söhnen und Ned. Vom Wind zerzaust, denn es war Mitte November geworden in unserem flachen grünen Land, und der Flugplatz war flacher als flach, so daß selbst die ersten Schneewehen, dünn und harsch wie Salzkrusten am Ufer eines ausgetrockneten Sees, keine Ruhe hatten, sondern weiterwogten und gegen unsere eilenden Schuhe brandeten, und meine Zeugen hatten keine Zuflucht vor dem Wirbelwind meiner Versetzung. Stephen weinte vor lauter Verwirrung, Martin, weil er gelauscht und etwas zuviel mitbekommen hatte, Jane, weil Weinen die richtige Reaktion einer Ehefrau in dieser Situation war, und Ned wegen des Windes.
    Frankie und ich hatten unsere Tränen bereits vergossen (und selbst dabei brachte ich kaum etwas zustande, so sehr ließ ihre Vollkommenheit mich den Kummer vergessen: meine Gänge förderten gerade nur ein paar Tropfen Blutwasser zutage unter dem Druck ihrer Kleidung und dem Schimmer des malvenfarbenen Corrèges-Schals im Halsausschnitt ihres kreideweiß gestreiften Kostüms und der

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