Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spezialist: Thriller

Der Spezialist: Thriller

Titel: Der Spezialist: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
Vom Netzwerk:
lähmte.
    Vor nicht allzu langer Zeit hatte er Corley die Geschichte von den Eichhörnchen erzählt. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen er etwas aus seinem Leben preisgab. Corley hatte mit der Frage reagiert, ob Geiger sich als »abgetrennt von anderen Menschen« betrachte.
    Geiger antwortete: »Wenn Sie nie verbunden waren, können Sie nicht abgetrennt werden.«
    Geiger war sich seiner Andersartigkeit bewusst. Von den einhundertachtundsechzig Stunden jeder Woche verbrachte er etwa fünf mit Harry, eine mit Corley und durchschnittlich fünfzehn mit den Jones. Dass er den Rest seines Lebens allein verbrachte, war nicht seine Entscheidung, sondern sein natürlicher Zustand. Die Aspekte seiner selbst, die er kannte, kannte er sehr gut. Die Aspekte seiner selbst, die er nicht kannte, kannte er gar nicht. Das Leben vor seinem Eintreffen in New York war ein unergründliches Loch, ein pechschwarzer Raum, und wenn er in diese Finsternis blickte, fand er dort nur wenige Antworten.
    Aber als es mit dem Traum begann, war es, als würde ein Blitz diesen Raum erhellen, und Geiger konnte sehen, dass der Raum endlos war, ohne jede Begrenzung. Außerdem gewährte der Traum ihm eine halbe Sekunde lang den Blick auf den Inhalt dieses Raumes – unzählige Gesichter, Körper, Bäume und Umrisse, die nicht zu identifizieren waren.
    Und dann kam jedes Mal Corley ins Spiel: Geiger erzählte ihm von dem Traum und dessen Varianten und benutzte Corleys Augen, um in der Schwärze sehen zu können und festzustellen, wer er war und was er gewesen war. Es ging Geiger nicht nur darum, mehr über sich selbst zu erfahren, um sich besser kennenzulernen, sondern mehr in die Arbeit einbringen zu können. Und das war nur möglich, wenn er mehr über sich wusste. Ihm ging es nur um den Informationsabruf.
    In der Nacht hatte er wieder geträumt, und hinterher war es wie immer gewesen. Er wachte gegen vier Uhr morgens auf und sah die Lichtblitze, die eine schwere Migräne ankündigten, wie eine Unwetterfront links von sich. Die Einzelheiten des Traumes wechselten, aber der Aufbau blieb immer gleich: Geiger rannte irgendwo hinaus und versuchte, ein Ziel zu erreichen, das nie deutlich wurde. Auf dem Weg, der jedes Mal voller Hindernisse war, verlor er früher oder später wortwörtlich den Zusammenhalt: Zuerst fielen seine Finger ab, dann seine übrigen Gliedmaßen. Kurz bevor der Kopf sich vom Körper löste, wachte er auf.
    Als Corley von der Migräne hörte, stellte er Geiger ein Rezept für Sumatriptan aus, doch Geiger lehnte ab. Er nahm keine Schmerzmittel. In seinen Augen wäre er dadurch das Problem von außen angegangen. Geiger jedoch befasste sich mit dem Schmerz von innen, und wie bei fast sämtlichen alltäglichen Dingen seines Leben war seine Methode auch dabei direkt und unkompliziert: Sobald eine Migräne heranzog, legte er Musik auf, legte sich auf den Boden des Wandschranks, schloss die Tür, setzte den Kopfhörer auf und ergab sich der Schwärze und dem Klang der Musik. Dann griff er tief in sich hinein und umarmte den Schmerz, bis er nichts anderes mehr spürte und der Schmerz das Einzige war, was er empfand – und dann packte er den Schmerz bei der Kehle und tötete ihn.
    Doch Schmerz konnte auch ein Werkzeug sein, und er konnte nicht nur vom Verursacher, sondern auch vom Empfänger benutzt werden. Schmerz konnte zum Quell der Stärkewerden, der Macht und des Wissens. Je intensiver der Schmerz, desto größer seine Kraft. Kaum jemand wusste das besser als Geiger.
    Schließlich hatte der Schmerz ihn zu dem gemacht, der er war.

7
     
    »Ich hatte wieder den Traum«, sagte Geiger und trommelte mit den Fingern auf die Couch.
    Corley notierte sich Häufigkt. d. Traums ansteigd . Der Traum bildete eine Schatzkarte, auf der es von Einzelheiten nur so wimmelte und die einen möglichen Zugang zu Geigers innerem Ich aufzeigte. Bis auf vereinzelte zufällige Bilder besaß Geiger keine Erinnerung an die Zeit, bevor er nach New York gekommen war, aber wenn er von seinem Traum und dessen Varianten erzählte, streckten die Schatten vergangener Katastrophen den Kopf ins Licht, und Corley konnte sie sehen. Der Traum war ein Mahlstrom der Mehrdeutigkeit; Geigers unwiderstehliches Verlangen zu handeln kämpfte gegen das verzweifelte Bedürfnis, es zu unterlassen . Diese gegensätzlichen Impulse riefen in Geigers Innerem einen solch wütenden Sturm hervor, dass er ihn – im Traum – wortwörtlich in Stücke riss.
    In seinen

Weitere Kostenlose Bücher