Der Spezialist: Thriller
Falls Matheson redet, begleite ich Hall, wenn er das Bild holt. Dann wissen wir Bescheid.«
»Nein. Der Auftrag ist zu Ende, wenn die Sitzung zu Ende ist. Diese Grenze überschreiten wir nicht. Innen gegen außen, Harry. Das weißt du.«
Harry nickte und zuckte mit seinen Kleiderbügelschultern.
»Ich weiß, ich weiß. Es ist nur ein Haufen Geld.«
Geiger nahm seinen Kaffee, blies darüber und trank einen Schluck. Nicht zum ersten Mal bemerkte Harry, dass Geiger selbst eine solch einfache Bewegung mit der Eleganz eines Balletttänzers ausführte.
»Harry, wie viel haben wir letztes Jahr verdient?«
»Eine Million … plus Kleingeld.«
»Fünfundzwanzig Prozent davon sind …?«
»Zweihundertfünfzigtausend.«
»Und das entspricht wie viel, wenn du Steuern zahlen würdest?«
»Vierhundertzwanzig Riesen. Schon gut, schon gut.«
Geiger hielt sich die Kaffeetasse vors Kinn. In einem Asap-Szenarium, wenn es so schnell wie möglich gehen musste, war der Jones ein größerer Faktor der Ungewissheit als üblich, und die Uhr tickte. Normalerweise schätzte Geiger es nicht, sich auf das Glück verlassen zu müssen, doch wenn der Klient es eilig hatte, blieb keine Wahl: Geiger musste hoffen, dass der Jones sich verplapperte und etwas offenbarte – eine Schwäche, eine Phobie, einen Dämon –, und dann machte Geiger daraus, was er konnte. Asaps waren immer knifflig, aber sie stellten eine Herausforderung eigener Art dar.
Geiger stellte die Tasse ab. Geräuschlos.
»Sag Hall, es geht in Ordnung.«
Harrys Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Er soll sich Matheson sofort greifen. Wir setzen die Sitzung auf Mitternacht an. Ludlow Street.«
***
Am Nachmittag hatte Geiger wieder einen Termin bei Corley, wollte vorher aber noch ins Museum of Modern Art, weil dort mehrere Gemälde von de Kooning hingen. Geiger war noch niein einem Museum gewesen. Delanotte hatte ihn einmal in eine Galerie in SoHo mitgenommen – der Mafioso war begeisterter Kunstsammler –, doch Geiger blieb unberührt von allem, was er sah. Gemälde, Statuen, Fotografien – sie waren keine Musik. Sie veränderten sich nie, und sie anzustarren war für Geiger ein statisches Erlebnis. Da es bei IR aber wertvoll sein konnte, die Leidenschaft eines Jones zu begreifen, ging er nun ins Museum, um zu erspüren, was David Matheson so sehr am Herzen lag.
Er durchquerte den Central Park. Die Sonne klebte als gelbes Abziehbild am Himmel, und Softballmannschaften waren in voller Montur angetreten. In diesem Park hatte Geiger zum ersten Mal Eichhörnchen studiert. Er fand, dass Eichhörnchen Wunder der psychischen Ökonomie darstellten; Angst bestimmte jede Bewegung und jeden Reflex. Manchmal hatte er beobachtet, wie eines der Tierchen erstarrte und die Pfote eine halbe Minute lang gehoben hielt, während es eine mögliche Gefahr abwog.
Kurz nachdem er in sein Haus eingezogen war, begann er ein Experiment, das ihm zeigen sollte, ob er das Verhalten dieser Tiere verändern und bestimmen konnte. Eine Woche lang legte er einen Haufen Sonnenblumenkerne neben die Birke im Garten hinter dem Haus und beobachtete von der Veranda, wie die Eichhörnchen sie fraßen. Eines Morgens setzte er sich dann an den Baum, die Hand mit Sonnenblumenkernen gefüllt und offen in seinem Schoß. Eine Stunde lang saß er völlig regungslos da. An drei aufeinanderfolgenden Morgen wagte ein Eichhörnchen sich auf anderthalb Meter an ihn heran, erstarrte und flitzte davon. Geiger begriff schließlich, dass in dem Moment, in dem das Eichhörnchen sich näherte, seine eigene Erwartung stieg und physische Veränderungen bei ihm hervorrief, an seinem Pulsschlag, seinem Blick und seiner Atmung. Diese Veränderungen lösten bei dem Eichhörnchen einen inneren Alarm aus. Wenn er das Verhalten der Tiere beherrschen wollte, musste er sein eigenes Verhalten ändern.
Am nächsten Morgen setzte er sich mit geschlossenen Augen unter die Birke und spielte lautlos, nur in seinem Kopf, eine Symphonie oder ein Rock-Album ab, wobei er seinen Sinnen jede Wahrnehmung der äußeren Welt verweigerte. Nach zwei Tagen holten sich die Eichhörnchen die Kerne aus seiner Hand; nach vier Tagen fraßen sie die Kerne, wenn sie auf seiner Wade oder seinem Oberschenkel saßen.
Geiger versuchte, diese Erfahrungen bei den Sitzungen einzubringen – die Fähigkeit, sein Verhalten an ein gegebenes Szenarium anzupassen und beim Jones einen Zustand der Angst zu erzeugen, ohne dass diese Angst ihn
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